Zum EUGH-Urteil am 15.9. zum Zugang zum Arbeitslosengeld II für UnionsbürgerInnen

Am 15.9.2015 hat der EUGH ein wichtiges Urteil zur Frage Zugang zum Arbeitslosengeld II für erwerbsfähige Unionsbürgerinnen und Unionsbürger, die noch nie oder nur kurze Zeit in Deutschland gearbeitet haben, gefällt. Wer arbeitet oder mehr als ein Jahr gearbeitet hat und dann arbeitslos wird, ist berechtigt, Leistungen nach dem SGB II (vulgo "Hartz IV") zu beziehen. Das wird auch vom EUGH nicht bestritten. Schon vor etwas einem Jahr gab es ein Urteil (Fall "Dano"), bei dem der EUGH geurteilt hat, dass ein Ausschluss von Leistungen für erwerbsfähige Personen, die gar nicht nach Arbeit suchen, europarechtlich möglich ist. Darüber könnte man ja noch streiten, aber diesmal (Fall "Alemanovic") ging es um eine Person, die bereits erwerbstätig war und aktiv nach Arbeit sucht. Im Urteil wird deutlich gesagt, dass für Personen, die aktiv nach Arbeit suchen und eine Chance auf dem Arbeitsmarkt haben, die Freizügigkeit auch nach 6 Monaten gilt, aber trotzdem der Zugang zu Leistungen nach dem Arbeitslosengeld II eruoparechtlich versagt werden darf.

Ich halte das für äußerst problematisch und werde entsprechend auch in einer dpa-Meldung zitiert:

"Der sozialpolitische Sprecher der Grünen im Bundestag, Wolfgang Strengmann-Kuhn, bezeichnete die Entscheidung als „fragwürdig“. „Wer zu uns kommt und nach Arbeit sucht, braucht Unterstützung. Das ist in einem sozialen Europa geboten“, sagte Strengmann-Kuhn."

siehe z.B.: www.fr-online.de/flucht-und-zuwanderung/europaeischer-gerichtshof-deutschland-darf-hartz-iv-verweigern,24931854,31814632.html

Mein gesamtes Statement lautete:

Wenn das Existenzminimum gefährdet ist, ist nicht nur die Integration in die Gesellschaft, sondern auch in den Arbeitsmarkt gefährdet. Es ist deshalb fragwürdig, Unionsbürgerinnen und Unionsbürger, die bei uns arbeiten wollen, vom Bezug von Arbeitslosengeld II auszuschließen. Wer zu uns kommt und nach Arbeit sucht, braucht Unterstützung. Das ist in einem sozialen Europa geboten.

Dass ich mit meiner Bewertung nicht ganz falsch liege und damit alleine dastehe, kann in einem lesenswerten Text auf verfassungblog.de nachgelesen werden:

www.verfassungsblog.de/der-umbau-der-europaeischen-sozialbuergerschaft-anmerkungen-zum-urteil-des-eugh-in-der-rechtssache-alimanovic/

Außer meinem Statement gegenüber dpa gab es noch eine etwas ausführlichere Pressemitteilung (zusammen mit Volker Beck) zum Urteil:

"Mit dem Urteil aus Luxemburg sind die Leviten in Sachen Sozialleistungen für Unionsbürgerinnen und Unionsbürger nicht gelesen. Zwar stellt das Urteil klar, dass arbeitsuchende UnionsbürgerInnen auch nachdem sie hier eine zeitlang gearbeitet haben, von Hartz IV ausgeschlossen werden dürfen. Das entbindet die Bundesregierung aber nicht von ihrer Gestaltungspflicht: Sie muss sich dafür einsetzen, dass Unionsbürgerinnen und Unionsbürger die sich in Deutschland nachweislich um Arbeit bemühen und begründete Aussicht haben, eingestellt zu werden, Arbeitslosengeld II gewährt wird und in allen EU-Mitgliedstaaten endlich Grundsicherungsleistungen eingeführt werden, die ein menschenwürdiges Leben ermöglichen. Das ist ein Gebot der sozialstaatlichen Solidarität und der Sozialstaatlichkeit. Ein soziales Europa ist notwendiger denn je. 

Das Gericht sagt offenbar nichts zum Hartz IV-Anspruch von Kindern aus einem anderen EU-Mitgliedstaat, die hier zur Schule gehen und integriert sind. Ihr Schulerfolg darf nicht durch diskriminierende Regelungen beim Bezug von Sozialleistungen gefährdet werden – unabhängig davon, wie lange ihre Eltern in Deutschland gearbeitet haben. Für diese Fälle darf ein Bezug von Grundsicherung nicht ausgeschlossen werden."

siehe: http://www.strengmann-kuhn.de/presse-3010098/pressemitteilungen/pm15/auch-nach-dem-urteil-des-eugh-arbeitsuchende-unionsbuergerinnen-und-ihre-kinder-brauchen-unterstuetzung.html

Außerdem möchte ich nochmal auf das Positionspapier "Mindestsicherung von UnionsbürgerInnen in Deutschland" der Bundestagsfraktion vom März hinweisen, in dem unsere Position zu ausführlich erklärt und beschrieben wird
http://www.gruene-bundestag.de/fileadmin/media/gruenebundestag_de/fraktion/beschluessezzu/PP_Mindestsicherung_UnionsbuergerInnen.pdf

Schließlich möchte ich noch betonen, dass das Urteil des EUGH besagt, dass der Zugang zum Arbeitslosengeld II für die oben genannte Gruppe europarechtlich eingeschränkt werden kann. Es kann aber durchaus sein, dass das ganze verfassungsrechtlich noch einmal anders aussieht. Schließlich hat das BVerfG deutlich gesagt, dass aus Art.1 in Verbindung mit Artikel 20 ein Grundrecht und Menschenrecht auf Existenzsicherung folgt, und zwar sowohl für Deutsche als auch für Ausländer, die hier leben. Ganz abgesehen davon gibt das Recht immer nur den Rahmen an. Die Leistungen können eingeschränkt werden, müssen aber nicht.

Die politische Debatte ist mit dem Urteil also nicht beendet.