Vier Tage Hospitation bei der Mainarbeit, dem Jobcenter in Offenbach

Als Wissenschaftler waren Armutsforschung und soziale Sicherung, insbesondere Grundsicherung, Schwerpunkte von mir. Seit 2009 bin ich Mitglied im Ausschuss für Arbeit und Soziales im Bundestag und seit Anfang 2014 sozialpolitischer Sprecher der grünen Bundestagsfraktion. Außerdem habe ich als „Kunde“, wie das neuerdings heißt, Erfahrungen mit dem Sozialamt (Mitte der 90er Jahre als Aufstocker) und zwischen meinen wissenschaftlichen Stationen immer mal wieder mit dem Arbeitsamt bzw. der Arbeitsagentur. Vom 10. August bis 13. August hatte ich nun Gelegenheit diesen Perspektiven eine weitere hinzuzufügen. Ich hatte nämlich die Möglichkeit im Jobcenter in Offenbach, der Mainarbeit, vier Tage zu hospitieren. Die Idee ist bei einem Gespräch mit dem Leiter der Mainarbeit, Matthias Schulze-Böing, entstanden, der sofort einverstanden war. Ein Mitarbeiter des Jobcenters hat mir daraufhin ein Programm von vier Tagen gebastelt, in denen ich in den zentralen Abteilungen des Jobcenters Einblicke in die tägliche Arbeit gewinnen konnte. Und ich muss sagen: Es hat sich gelohnt!

Zum Teil haben sich Einschätzungen von mir bestätigt, vieles ist mir klarer geworden und einige Probleme, die mir noch nicht deutlich so bewusst waren, sind hinzugekommen. Es ist doch nochmal etwas anderes sich wissenschaftlich oder politisch mit Themen zu beschäftigen oder vor Ort dabei zu sein, wie ein Jobcenter funktioniert und mit den Betroffenen reden zu können. Bevor ich meine Erfahrungen im Überblick schildere, will ich vor allem eins betonen: Sowohl gegenüber Hartz IV-Bezieherinnen und –Beziehern als auch gegenüber den Jobcentern gibt es diverse Vorurteile. Diese haben sich zumindest in den vier Tagen in Offenbach nicht bestätigt: Die Hartz IV-Bezieherinnen und –Bezieher sind sehr bestrebt, ihre Situation zu überwinden, und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Jobcenters tun ihr Möglichstes, sie dabei zu unterstützen. Beide Seiten schilderten mir auch andere Erfahrungen, das seien aber jeweils nur absolute Ausnahmen und Einzelfälle gewesen.

Die Mainarbeit Offenbach ist ein kommunales Jobcenter, d.h. es arbeitet getrennt von der Arbeitsagentur. Die internen Strukturen eines Jobcenters sehen jeweils unterschiedlich aus. In Offenbach gibt es vor allem zwei große Bereiche, nämlich die Leistungssachbearbeitung und die Arbeitsvermittlung. Jeder Hartz IV-Beziehende hat damit in Offenbach zwei AnsprechpartnerInnen. In manchen anderen Jobcentern ist das nicht voneinander getrennt, so dass es nur eine Kontaktperson gibt. Ich finde die Trennung sehr sinnvoll. Sie entspricht den beiden Hauptfunktionen des Arbeitslosengeldes II, nämlich einerseits als finanzielle Grundsicherung und andererseits als Leistung zur Integration in den Arbeitsmarkt. Eine Vermischung dieser beiden Funktionen kann in der Praxis zu Problemen führen. Darüber hinaus gibt es bei der Mainarbeit eine zentrale Anlaufstelle (ZAS), bei der sich sowohl alle, die erstmalig ins Jobcenter kommen, melden müssen, als auch die, die schon Kundin oder Kunde sind, wenn sie ein Anliegen bezüglich der Leistungen haben. Die zentrale Anlaufstelle dient damit vor allem als Filter für die Leistungssachbearbeitung. Am Anfang war ich diesbezüglich etwas skeptisch, weil ich dachte, dass dadurch doppelte Verwaltung entsteht, und weil natürlich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der ZAS die einzelnen Fälle nicht so gut kennen. Im Nachhinein muss ich aber sagen, dass das eine sinnvolle Struktur ist, weil viele kleinere Probleme schon in der ZAS gelöst werden können und die Leistungssachbearbeitung, die sehr aufwändig ist, entlastet wird. Wenn die ZAS nicht weiter helfen kann, was nur selten der Fall ist, wird ein Termin mit der/dem zuständigen Leistungssachbearbeiter/in gemacht. In der Leistungssachbearbeitung gibt es in Offenbach Kontakte mit den Kundinnen und Kunden nur nach vereinbarten Terminen. Sie sind jedoch auch per Email oder telefonisch erreichbar. Letzteres allerdings nur vormittags von 10 bis 12 Uhr. In der Vermittlungsabteilung ist das anders, hier können Kundinnen und Kunden jederzeit auch ohne Termin zu ihrem persönlichen Ansprechpartner (PAP).

Am ersten Tag habe ich in der zentralen Anlaufstelle hospitiert. Hierdurch bekam ich einen ersten Überblick sowohl von der Vielfalt der (potentiellen) Bezieherinnen und Beziehern als auch der Einzelprobleme. In der zentralen Anlaufstelle arbeiten 10 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die im Durchschnitt täglich insgesamt etwa 120 Fälle bearbeiten. Vormittags können bis 11 Uhr Wartenummern gezogen werden, die dann noch alle bearbeitet werden, was auch schon mal bis in den frühen Nachmittag gehen kann. Für Erwerbstätige gibt es ein extra Zeitfenster, nämlich den Donnerstag Nachmittag, der ausschließlich für Berufstätige ist. Das finde ich angesichts der hohen Zahl an Aufstockerinnen und Aufstockern sehr sinnvoll. Außerdem weiß ich aus eigener Erfahrung, dass es nicht so einfach ist, einen Besuch im Jobcenter – bzw. bei mir früher im Sozialamt – und Erwerbstätigkeit unter einen Hut zu bringen, insbesondere, wenn auch noch Kinder vorhanden sind, was vor allem bei den Vollzeit erwerbstätigen Arbeitslosengeld II-Beziehenden sehr häufig der Fall ist. An den anderen Nachmittagen gibt es termingebundene Gespräche vor allem für die qualifizierte Antragsausgabe, bei der die Einzeltermine etwa eine Dreiviertelstunde bis Stunde dauern, um genau zu erklären, welche Anträge wie ausgefüllt werden müssen und wo die Kundinnen und Kunden gegebenenfalls weitere Beratung bekommen können. Das ist ein Offenbacher Spezifikum. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der ZAS nehmen sich dabei besonders viel Zeit, um den Kunden die für diese manchmal doch recht komplizierten Regularien mit beizubringenden Unterlagen zu erklären und soweit es geht sicher zu stellen, dass die dann folgende Antragsbearbeitung reibungslos läuft. Bei großem Andrang am Vormittag kann es passieren, dass kaum Zeit für eine Mittagspause bleibt. Trotz der hohen Arbeitsbelastung auf der einen Seite und den häufig existenziellen Problemen auf der anderen Seite war der Umgang in der zentralen Anlaufstelle die ganze Zeit von allen Seiten sehr freundlich und geduldig. Auch das muss vor dem Hintergrund der oben genannten Vorurteile noch einmal betont werden. Auffällig war, dass die meisten der Kundinnen und Kunden mehr oder weniger große Sprachprobleme hatten. Das war, wie mir bestätigt wurde, kein Zufall, sondern ist für Offenbach tatsächlich bei der überwiegenden Mehrheit derjenigen, die Arbeitslosengeld II beantragen, der Fall.

Am zweiten Tag war ich mit MitarbeiterInnen der so genannten „Ermittlungsabteilung“ unterwegs, die Kundinnen und Kunden zu Hause besuchen. Dabei geht es nicht wie der Name suggerieren könnte in erster Linie um Fälle, bei denen der Verdacht besteht, dass falsche Angaben zur Wohnsituation gemacht wurden. Das gibt es auch, ist aber nur eine Minderheit der Besuche. Die Ursachen für Hausbesuche sind vielfältig. Es geht darum festzustellen, was nach Umzügen oder Erstbezügen von Wohnungen an Erstausstattung notwendig ist, für die es extra Unterstützung gibt, über etliche Fälle, bei denen es um Probleme mit der Qualität der Wohnung (z.B. Schimmel) und Möglichkeiten der Beseitigung geht, bis hin zu Fällen, bei denen die Mieter Probleme mit Vermietern haben. An der Stelle wurde mir eine Problematik offensichtlich, die mir bis dahin zumindest in dem Ausmaß nicht so deutlich war, nämlich das Verhalten von unverantwortlichen bis skrupellosen Vermietern und die begrenzten Möglichkeiten von öffentlicher Seite im Sinne der Mieter dagegen vorzugehen. Einer der gravierendsten Fälle in Offenbach ist die Luisenstraße 24 (siehe dazu http://www.fr-online.de/offenbach/offenbach-ein-halbes-jahr-ohne-wasser,1472856,31443194.html). In etwas abgeschwächter Form sind solche Fälle zumindest in Offenbach, aber wahrscheinlich auch in anderen Kommunen, häufiger und problematischer als ich vorher gedacht habe.

Am dritten Tag war ich in der Leistungssachbearbeitung. Hier geht es um die Geldleistungen des Jobcenters. In einem aufwändigen Verfahren müssen die Einkommen der Mitglieder der Bedarfsgemeinschaften und die Bedarfe festgestellt und belegt werden. Auf die Frage, was sich die MitarbeiterInnen der Leistungssachbearbeitung an gesetzlichen Änderungen wünschen würden, war die Antwort einhellig: Vereinfachungen! Neben dieser allgemeinen Äußerung habe ich dafür diverse Einzelvorschläge mitgenommen. Einer der Problemkomplexe sind die Schnittstellen zu anderen Leistungen, insbesondere zum SGB XII, in dem der Bezug der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung sowie der Sozialhilfe geregelt ist. Für die LeistungssachbearbeiterInnen ist es immer wieder ein Problem, wenn in einer Bedarfsgemeinschaft einerseits Leute leben, die Leistungen nach dem SGB II und andere nach dem SGB XII beziehen. Und bei Wechseln von einem in das andere System ist es für die Betroffenen – und nicht nur für die – schwer verständlich, warum sich die Bezugsbedingungen plötzlich verändern. Ein weiteres Problem ist, dass bei Veränderungen oder Rückforderungen alle Mitglieder einer Bedarfsgemeinschaft angeschrieben werden müssen, was dann auch manchmal zu Missverständnissen führt. Eine Schlussfolgerung für mich ist, dass insgesamt über das Konstrukt der Bedarfsgemeinschaft noch einmal grundlegend nachgedacht werden muss.

Auch in der Leistungssachbearbeitung wurde mir wieder das Problem Wohnen als besonderes, eigenständiges Problem deutlich. Dass die Ermittlung und der Nachweis der Wohnkosten aufwändig sind, war mir schon vorher klar. Neu war mir, wie viele Menschen Probleme dadurch bekommen, dass Wohnkosten, Mieten, Heizkosten oder Strom, zu spät oder gar nicht bezahlt werden. Die Folgen sind häufig fristlose oder ordentliche Kündigungen. Die Jobcenter müssen sich dann darum kümmern, diese Kündigungen möglichst zu vermeiden bzw. wenn es soweit kommt, die Kundinnen und Kunden dabei unterstützen neue Wohnungen zu bekommen oder im schlimmsten Fall in Notunterkünften unterzubringen. Das Ganze ist nicht nur für die Betroffenen eine schwere Notsituation, sondern auf der anderen Seite für die Jobcenter ein großer Aufwand. Insgesamt sind zurzeit in Offenbach mehr als 500 Personen, die Arbeitslosengeld II beziehen, in Notunterkünften untergebracht. Im Übrigen wurde mir erklärt, dass allen Obdachlosenlosen im Bezug eine Notunterkunft angeboten wird. Das bestätigt meine an anderer Stelle getroffene Feststellung, dass es doch möglich sein müsste, dass im reichen Deutschland niemand auf der Straße leben muss. Nach Schätzungen der BAG Wohnungslosenhilfe leben über 20.000 Menschen in Deutschland auf der Straße.

Last not least war ich am vierten Tag in der Vermittlungsabteilung. Hier waren die Arbeitsabläufe im Vergleich zu den anderen Abteilungen sehr unterschiedlich. Während die Arbeit in den anderen Abteilungen sehr strukturiert ist, z.B. in der Leistungssachbearbeitung: von 10 bis 12 Telefonsprechzeit, außerhalb dieser Zeit einige, wenige feste Termine und ansonsten Bearbeitung von Anträgen und Emailanfragen, ist die Arbeit bei der Vermittlung nicht kalkulierbar, weil die Arbeitslosen jederzeit während der Öffnungszeiten auch ohne Termin kommen können. So hatte ich auch für die Hospitation keinen klaren Zeitplan, sondern bin dann, wenn gerade jemand zu einem Beratungsgespräch da war – und die Person einverstanden war – dazu gekommen. Die restliche Zeit hatte ich Gelegenheit, sowohl mit den PAPs (also den persönlichen Ansprechpartnern) als auch mit dem Teamleiter ausführlich zu reden. Die Arbeit in der Vermittlungsabteilung besteht nicht nur in der Arbeitsvermittlung, sondern es geht auch um diverse sonstige Hilfen für die Betroffenen, u.a. Sozialberatung, psycho-soziale Unterstützungen und Weiterbildungsmöglichkeiten. Wie oben erwähnt, hat ein großer Teil der Neu-BezieherInnen von Arbeitslosengeld II in Offenbach Sprachprobleme. Bei diesen geht es am Anfang erst einmal darum, sprachliche Kompetenzen zu vermitteln. Dazu gibt es Sprachkurse, die in Kooperation mit dem Bundesamt für Migration und Flucht (BAMF) extern durchgeführt werden. Überhaupt zeichnet sich die Arbeit in der Vermittlungsabteilung auch dadurch aus, dass mit einer Vielzahl von externen KooperationspartnerInnen und Institutionen zusammengearbeitet wird, die Unterstützungsleistungen anbieten. Die PAPs müssen also in vielfältiger Hinsicht beraten, was einerseits eine breite Kompetenz und einen breiten Überblick über mögliche Hilfen voraussetzt und andererseits ein besonderes Vertrauensverhältnis zwischen der Kundin bzw. dem Kundin und dem persönlichen Ansprechpartner voraussetzt. Die Unterstützung stößt allerdings an Belastungsgrenzen, denn jeder PAP hat zwischen 150 bis 200 Arbeitslose zu betreuen, angesichts der geschilderten Herausforderungen eine ganze Menge. Es ist eine Aufgabe der Politik die Rahmenbedingungen so zu verbessern, dass sich diese Zahl deutlich verringern kann.

Neben diesem Grundproblem wurde von mehreren PAPS das Problem beschrieben, dass für die Vermittlungsarbeit die Trennung zwischen der Arbeitsagentur und dem Jobcenter zu strikt ist. So ist es bei Personen, die aus dem Arbeitslosengeld I kommen, nicht so ohne weiteres möglich in eine Akte mit bisherigen Vermittlungsbemühungen etc. zu schauen, u.a. weil es kein gemeinsames IT-System gibt.und bei Kontakten mit Arbeitgebern kommt es vor, dass sich Jobcenter und Arbeitsagentur gewissermaßen ins Gehege kommen. Mir haben Arbeitgeber berichtet, dass es für sie nicht nachvollziehbar ist, warum sich zwei öffentliche Institutionen mit unterschiedlichen Instrumenten und zum Teil in Konkurrenz zu einander für die Vermittlung von Arbeitslosen agieren. Eine weitere Schnittstellenproblematik ist erneut die zum Sozialgesetzbuch XII, die aber anders gelagert ist als bei der Leistungsabteilung. Erwerbsfähige Personen sowie teilweise erwerbsunfähige oder vorrübergehend Erwerbsunfähige Personen erhalten Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch II und werden vom Jobcenter betreut, dauerhaft Erwerbsunfähige erhalten Grundsicherung nach dem SGB XII und werden vom Sozialamt betreut. Die Grenzen zwischen vorübergehender oder teilweise Erwerbsminderung und dauerhafter, voller Erwerbsminderung verlaufen aber fließend, was zu vielfältigen Problemen führt. In diesem Zusammenhang wurde auch von manchen PAPs das vorrangige Ziel des SGB II hinterfragt, die BezieherInnen auf den Arbeitsmarkt zu vermitteln. Außerdem wurde das Problem angesprochen, dass für die Gruppe, die kaum eine Chance auf dem ersten Arbeitsmarkt hat, Instrumente wie ein sozialer Arbeitsmarkt fehlen.

Aus meiner Hospitation ziehe ich eine Reihe von Schlussfolgerungen für meine politische Arbeit. Die Jobcenter müssen entlastet werden. Wie erwähnt, finde ich die Trennung zwischen der Leistungssachbearbeitung und der Jobvermittlung, wie sie in Offenbach stattfindet, sehr vernünftig. Ich würde noch weiter gehen, und die finanzielle Grundsicherung, zumindest soweit es die allgemeine Mindestsicherung und nicht spezielle, individuelle Bedarfe betrifft, ganz vom Jobcenter zu trennen und dabei auch die Trennung zwischen den verschiedenen Grundsicherungsleistungen in Deutschland aufzuheben. Überhaupt führt es zu einem sehr großen Verwaltungsaufwand, dass für jede Sozialleistung in Deutschland das Einkommen erneut erfasst und nachgewiesen werden muss und dabei auch noch unterschiedliche Einkommensbegriffe verwendet werden. Durch eine Vereinheitlichung der Systeme könnte viel Bürokratie abgebaut und die frei werdenden Ressourcen könnten besser an anderer Stelle, zum Beispiel für die Arbeitsvermittlung und die soziale Unterstützung, eingesetzt werden, und bestehende Sicherungslücken würden geschlossen.

Darüber hinaus würde ich dafür plädieren, den Bereich Wohnen zu bündeln und ebenfalls von der Arbeitsvermittlung abzukoppeln. Eine Institution wäre dann für alles zuständig, was mit Wohnen zu tun hat, von den Geldleistungen für die Miete sowie für die Wohnungsausstattung, die Wohnungsvermittlung inkl. Versorgung mit Notunterkünften, Unterstützung bei Problemen mit der Wohnung bis hin zu Maßnahmen gegen skrupellose Vermieter. Auch falsche Angaben zur Wohnung würden einem solchen umfassend für Wohnen zuständigen Amt eher auffallen als dem Jobcenter. Dadurch würden Doppelstrukturen vermieden und es könnte effektiver geholfen werden.

Die Jobcenter selbst könnten sich dann auf die Arbeitsvermittlung konzentrieren, wobei diese auch mit den vielfältigen weiteren angesprochenen Unterstützungsleistungen, Vermittlung von Sprachkenntnissen, Weiterbildung, soziale Unterstützung etc. einhergehen sollten. Das sollte nicht voneinander getrennt werden. Nicht alle Arbeitslosen brauchen zusätzliche Unterstützungen, aber häufig sind diese Probleme mit Nichterwerbstätigkeit verknüpft, auch weil sie eine Ursache der Arbeitslosigkeit sind. Die bestehende Trennung in Arbeitsagentur auf der einen Seite und Jobcentern auf der anderen Seite sollte nach meinem Dafürhalten aufgehoben und die Arbeitsvermittlung wieder vereinheitlicht werden sollte. Ziel sollte ein Jobcenter sein, dass sich um alle Arbeitslosen kümmert und dabei den gesamten Instrumentenkasten zur Verfügung hat, der jetzt im Sozialgesetzbuch II und Sozialgesetzbuch III auf zwei Gesetze und mit der Arbeitsagentur und den Jobcentern auf zwei Institutionen verteilt ist. Absurd finde ich, dass die jetzige Aufteilung danach erfolgt, welche Geldleistung jemand erhält. Auch das wäre für mich ein Grund, die Geldleistung von der Vermittlung abzukoppeln. Wenn eine Person Arbeitslosengeld I bezieht und, weil das zu niedrig ist, ergänzend Arbeitslosengeld II, wird sie nicht von der Arbeitsagentur betreut, obwohl sie eher mit anderen Kurzzeitarbeitslosen vergleichbar ist. Zumindest das sollte geändert werden. Umgekehrt gibt es auch Kundinnen und Kunden der Arbeitsagentur, denen besser durch die Instrumente geholfen werden kann, die dem Jobcenter zur Verfügung stehen. In einem einheitlichen Jobcenter, das alle Arbeitslosen betreut, könnte optimal nach der individuellen Situation geholfen werden. Das Mindeste ist, dass die Kooperationsmöglichkeiten und der Austausch von Daten auch zwischen den Jobcentern der Optionskommunen und der Arbeitsagentur verbessert werden.

Bei einer Dreiteilung der Leistungen in Arbeitsvermittlung plus soziale Unterstützung, Wohnen und Regelbedarf würde sich das Problem der Bedarfsgemeinschaften ganz anders stellen. Bei der Arbeitsvermittlung geht es ohnehin um die Person und nicht um die Bedarfsgemeinschaft. In der Vermittlungsabteilung beim Jobcenter in Offenbach war das sinnvollerweise auch so. Verschiedene erwerbsfähige Mitglieder einer Bedarfsgemeinschaft wurden getrennt voneinander betreut. Beim Problemkreis Wohnen wiederum ist klar, dass es hier um die Bedarfsgemeinschaft geht, die gemeinsam wohnt und zusammen betrachtet werden muss. Beim Regelbedarf sollte wiederum das Individualprinzip gelten und die Zahlung an die Person erfolgen. Das einfachste wäre, den Regelbedarf einfach an alle auszuzahlen und dann im Rahmen der Einkommensteuererklärung mit dem dort erfassten Einkommen zu verrechnen. Bei einer einkommensabhängigen Auszahlung sollten Einkommen des Partners oder der Partnerin nur angerechnet werden, wenn diese das Existenzminimum übersteigen, wie das bei der Berechnung der Grundsicherung nach dem Sozialgesetzbuch XII bereits heute der Fall ist.

Mir ist klar, dass eine so grundlegende Veränderung wie ich sie hier skizziert habe, nicht so einfach und nicht von heute auf morgen erreichbar ist. Es macht aber deutlich, vor welchen grundsätzlichen Problemen sowohl die Jobcenter aber vor allem auch die Kundinnen und Kunden häufig stehen. Ich habe aber auch vielfältige Vorschläge, Anregungen und Ideen für einzelne Verbesserungen erhalten, die ich in meinen politischen Alltag einbringen kann.

 

 

 

Am 05.09.2015 erschien in der Print-Ausgabe der taz ein Interview mit Wolfgang Strengmann-Kuhn. Die Autorin Alina Leimbach befragte den sozialpolitischen Sprecher zu seinen Erfahrungen aus der Hospitation bei der MainArbeit, dem Jobcenter von Offenbach. Das gesamte Interview gibt es hier: http://www.taz.de/

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