Veranstaltungsbericht Fachgespräch
„Logistik, Ernte, Pflege & Co.:
Faire Arbeitsbedingungen für alle“ | 13. Mai 2019
Ausbeutung von Arbeitnehmer*innen ist auch in Deutschland Realität – obwohl gerade Arbeitskräfte aus anderen EU-Staaten maßgeblich zum Wohlstand Deutschlands beitragen. Sie sind nicht mehr wegzudenken aus der Logistik, der Fleischwirtschaft, der Ernte und aus der Pflege. Aber genau in diesen Branchen werden immer wieder Mindestlohnregelungen und Arbeitnehmer*innenrechte nicht eingehalten.
Wie verhindern wir Ausbeutung in Deutschland? Was braucht es an Regeln, damit Unternehmen sich fair verhalten? Wo hakt es bei der Kontrolle und Dokumentationspflicht?
Diese Fragen standen beim Fachgespräch der Grünen Bundestagsfraktion am 13.05.2019 im Vordergrund.
Franziska Brantner, Sprecherin für Europapolitik, begrüßte die knapp 50 Teilnehmer*innen und machte deutlich, dass Fairness in Europa bedeutet, dass keine Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ausgebeutet werden und nirgends Lohndumping praktiziert wird. Frieden in Europa sei auch immer sozialer Frieden. Dazu müsse gerade Deutschland wieder einen stärkeren Beitrag leisten.
Zum Einstieg betonte der Sprecher für Europäische Sozialpolitik, Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, dass wir ein soziales Europa brauchen, um den Zusammenhalt in der Europäischen Union zu stärken. Das sei angesichts der großen globalen Herausforderungen notwendig. Wie sozial eine Gesellschaft ist, zeige sich vor allem an der Frage, wie sie mit den Schwächsten umgeht. Zu den Schwächsten gehörten in Deutschland die Unionsbürger*innen aus anderen Ländern, die hier beschäftigt sind oder Arbeit suchen. Die EU hat schon heute Kompetenzen, um dem entgegenzuwirken, nämlich durch Mindeststandards bei den sozialen Sicherungssystemen sowie bei der Schaffung und Durchsetzung von Rechten von Arbeitnehmer*innen und Arbeitnehmern. In einigen Branchen gibt es für nichtdeutsche EU-Bürger*innen zum Teil menschenunwürdige Zustände. Diese Missstände zu beleuchten und zu diskutieren, was auf EU-Ebene und national dagegen getan werden kann und muss, stand im Zentrum dieses Fachgesprächs.
Um einen Überblick über Zahlen und Fakten zum Thema Europäische Arbeitnehmer*innen in Deutschland zu bekommen, hielt Heike Rabe vom Deutschen Institut für Menschenrechte (IfM) einen kurzen Impulsvortrag. Das IfM legt jährlich seinen Menschenrechtsbericht vor, im Bericht für 2018 war der Schwerpunkt Arbeitsausbeutung. Zwar gebe es fast 9 Millionen Europäer*innen, die in einem anderen EU-Land arbeiten, aber kaum verlässliche Zahlen zur Arbeitsausbeutung, so Rabe. In der Studie 2018 wurden deshalb vor allem Menschen aus Beratungsstellen, Experten und Betroffene befragt. Als größtes Problem erkannte das IfM das Machtgefälle zwischen Arbeitnehmer*innen und Arbeitgeber*innen. Häufig sei für Arbeitnehmer*innen eine Beschwerde kaum möglich: Zunächst stehe für die Betroffenen das Bedürfnis, den versprochenen Lohn zu bekommen, im Vordergrund. Aus Angst vor Kündigung oder auch keine andere Stelle in Deutschland zu finden, trauten sich viele Menschen nicht, ihre Rechte einzuklagen. Hinzu kämen Rechtsunkenntnis, Sprachbarrieren, fehlender Zugang zu Beratungsstellen, fehlende Prozesskostenhilfe und mangelnde Beweise gegen die Arbeitgeber*innen, erklärte Rabe. Außerdem gebe es viel zu wenige Kontrollen.
Mit Blick auf Handlungsempfehlungen an die Politik, betonte Heike Rabe die Notwendigkeit von stellvertretenden Klagemöglichkeiten, die Einführung der Beweislastumkehr sowie bessere Informationsmöglichkeiten über die Arbeit der Beratungsstellen.
Die anschließende Panel-Diskussion über die Arbeitsbedingungen hinterließ sichtbaren Eindruck bei den Gästen. Denn die Moderatorin, Claudia Brüninghaus, eröffnete die Runde mit der Frage, wie ein typischer Arbeitstag in den jeweiligen Branchen ablaufe. Matthias Brümmer (NGG) berichtete über die Zustände in der Fleischbranche, Michael Wahl (DGB Projekt „Faire Mobilität“) über die Situation von Kraftfahrern und Frank Schmidt-Hullmann (IG BAU) hatte auch aus dem Erntesektor wenig Positives zu berichten. Allen Branchen gleich sind katastrophale Zustände – überlange Arbeitszeiten, häufig ohne Arbeitsvertrag, Unterlaufen von Mindestlöhnen, schlechte menschenunwürdige Unterkünfte. Auf Krankheit folgt oft die Kündigung. Einsamkeit, soziale Isolation, Abhängigkeit.
Beate Müller-Gemmeke, Sprecherin für ArbeitnehmerInnenrechte beleuchtete daraufhin, welche gesetzlichen Regelungen die Menschen vor Arbeitsausbeutung schützen könnten. Es gelte vor allem, wieder mehr Ordnung auf dem Arbeitsmarkt zu schaffen: Vor allem durch höhere Mindestlöhne in Deutschland und Europa sowie durch Equal Pay ab dem ersten Tag und einen zusätzlichen Flexibilitätsbonus auf Löhne in der Leiharbeit. Als konkrete Maßnahmen gegen Arbeitsausbeutung forderte Beate Müller-Gemmeke die Allgemeinverbindlichkeitserklärung von Tarifverträgen zu erleichtern, die Nachunternehmerhaftung für Sozialversicherungsbeiträge in deutlich mehr Branchen einzuführen, die Dokumentation der Arbeitszeit zu verschärfen und Kontrollbehörden wie die Finanzkontrolle Schwarzarbeit personell deutlich besser auszustatten. Wichtig sei auch, dass Betroffene ihre Rechte leichter durchsetzen können. Dafür fordert die Grüne Bundestagsfraktion einen kollektiven Rechtschutz und ein Verbandsklagerecht für Gewerkschaften. All diese Maßnahmen wurden einhellig befürwortet. Auf großes Interesse seitens der Gewerkschaftsvertreter stieß auch der Vorschlag, die Arbeitsinspektion nach österreichischem Vorbild auch hierzulande ernsthaft zu diskutieren.
Zum Schluss wurde anhand eines Best Case Beispiels gezeigt, wie es in der Praxis funktionieren kann, faire Arbeitsbedingungen von ausländischen Arbeitnehmer*innen sicherzustellen. Dorothea Foks von FairCare stellte dafür ihr Projekt vor. FairCare ist ein Vermittlungsdienst für Betreuungskräfte aus Osteuropa, der von der Diakonie getragen wird. FairCare vermittelt legale und fair beschäftigte Arbeitskräfte in der häuslichen Betreuung. Als Rahmenbedingungen gelten unter anderem der gesetzliche Mindestlohn, eine maximale Arbeitszeit von neun Stunden am Tag und mindestens ein freier Tag pro Woche. Mittlerweile wurden mehrere hundert Betreuungskräfte von FairCare vermittelt. Gemessen an der Gesamtzahl der Beschäftigen in der häuslichen Pflege sei das nur ein Tropfen auf den heißen Stein, merkte eine Teilnehmerin aus dem Publikum an. Auch Foks räumt ein, dass bis die Bedingungen für Arbeitskräfte in der häuslichen Pflege wirklich umfassend fair sind, noch einiges passieren muss: Arbeitszeitgesetze müssten eingehalten werden, indem auch die Bereitschaftszeit angerechnet wird, legale Beschäftigung gestärkt werden (vor allem auch durch Zuschüsse aus den Pflegeversicherungen) und es müsste mehr kontrolliert werden.
Franziska Brantner beendete das Fachgespräch mit einem vorläufigen Fazit: In Deutschland gebe es im Bereich der Arbeitnehmer*innenrechte für Menschen aus dem EU-Ausland noch einiges zu tun. Daran müsste Deutschland gemeinsam mit seinen europäischen Nachbarn arbeiten. Arbeitnehmerfreizügigkeit könne nämlich nur dann funktionieren, wenn alle europäischen Staaten an einem Strang ziehen.