Zu den Antworten der Bundesregierung auf drei schriftliche Fragen, veröffentlicht Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, Sprecher für Arbeitsmarktpolitik folgendes auswertendes Statement:

Es gibt in Deutschland etwas über eine Million Menschen, die erwerbstätig sind und ergänzend Arbeitslosengeld II beziehen. Die Mehrheit davon ist sozialversicherungspflichtig beschäftigt.

Durch die Corona-Krise ist diese Zahl einerseits deutlich angestiegen. So vermutet die Bundesregierung, dass der „Corona-Effekt“ bei den Aufstockenden im April und Mai 2020 wie folgt aussieht: 76.000 Kurzarbeitende und 58.000 Selbstständige meldeten sich bei den Jobcentern.

Ich sehe hier nur die Spitze des Eisbergs. Die Zahl der Aufstocker*innen im SGB II ist durch die Corona-Pandemie nicht so stark angestiegen wie ursprünglich von der Bundesregierung angenommen. Das liegt sicher nicht daran, dass es den Betroffenen wider Erwarten deutlich besser geht als vermutet. Die Bundesregierung selbst ging im Sozialschutzpaket I alleine von 1.000.000 Selbstständigen aus, die auf die Grundsicherung angewiesen sein könnten, darunter 700.000 Soloselbständige. Hinzu kommt, dass das Kurzarbeitergeld in Höhe von 60% bzw. 67% mit Kindern selbst bei mittleren Einkommen geringer als das Grundsicherungsniveau ist, wenn gar nicht gearbeitet wird, was in dieser Krise vermutlich sehr häufig der Fall ist.

Die Dunkelziffer von Menschen, die zusätzlich noch Anspruch auf Grundsicherung hätten, dürfte also deutlich über den Zahlen der Bunderegierung liegen. Ich gehe deshalb von einer hohen Anzahl Menschen aus, die auf die zusätzliche Beantragung von ALG II als aufstockende Leistung verzichten. Die Ursachen liegen auf der Hand: Trotz der beschlossenen Erleichterungen beim Zugang zur Grundsicherung sind die bürokratischen Hürden immer noch hoch, Erwerbstätige haben Angst vor Stigmatisierung und es ist davon auszugehen, dass Selbständige und Kurzarbeitende gar nicht wissen, dass sie Anspruch auf Arbeitslosengeld II haben. Außerdem liegt Die Vermutung nahe, dass sich viele der Selbstständigen ausschließlich auf die Direktzahlungen verlassen haben.

Für mich wird dadurch erneut klar: Arbeitslosengeld II und der Gang zum Jobcenter sind weder für Menschen in Kurzarbeit noch für Selbständige eine angemessene Option. Weil sie gar nicht arbeitslos sind.

Wir Grüne im Bundestag fordern daher als Sofortmaßnahmen:

  • Das Kurzarbeitergeld muss in der Krise für geringe und mittlere Einkommen aufgestockt werden, und zwar umso stärker je geringer das Einkommen ist. Konkret schlagen wir vor, dass das Kurzarbeitergeld bis zu einem Nettoentgelt von 1300 Euro auf 90% bzw. 97% mit Kindern liegt. Wer Kurzarbeit bezieht, sollte nicht zum Jobcenter müssen.

  • Für Selbständige müssen die Wirtschaftshilfen endlich so ausgestaltet werden, dass damit auch das Existenzminimum der Betroffenen damit abgedeckt werden kann. Doch die Bundesregierung stellt sich immer noch quer und verschließt die Augen vor offensichtlichen Problemen. Vor allem für viele freiberuflichen Selbständigen ohne Beschäftigte sowie Künstlerinnen und Künstler ist das ein Riesenproblem. Sie brauchen endlich eine unbürokratische Absicherung des Existenzminimums.

Nach der Krise muss die heutige Grundsicherung zu einer Garantiesicherung weiterentwickelt werden, bei der Erwerbstätigen das Existenzminimum garantiert wird, ohne dass sie zum Jobcenter müssen.

In diesem Dokument finden Sie die von Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn eingereichten schriftlichen Fragen und die Antworten der Bundesregierung unter den Nummern 48 - 50.