2007 habe ich an der Goethe-Uni Vorlesungen über Arbeitsmarktökonomik als Professor für Labour Economics gehalten, wo ich die Professur für ein Jahr vertreten habe. Jetzt bin ich Sprecher für Arbeitsmarktpolitik der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/ Die Grünen. Außerdem war ich zwischen meinen wissenschaftlichen Stationen immer mal wieder arbeitslos, also „Kunde“ der Arbeitsagentur. Diesen unterschiedlichen Sichtweisen habe ich eine weitere hinzugefügt. Denn Anfang Juli habe ich drei Tage bei der Arbeitsagentur in Offenbach hospitiert. Insgesamt war das sehr spannend und durch den zusätzlichen Blickwinkel habe ich nochmal einiges dazu gelernt. Ich habe in diversen Abteilungen hospitiert, von der Eingangszone, über die Arbeitsvermittlung bis hin zur Reha-Abteilung und dem „Service-Center“, das in einem Verbund für 41 Arbeitsagentur-Bezirke die Telefon- und Emailanfragen abarbeitet. In diesem Bericht möchte ich mich aber vor allem auf drei Bereiche konzentrieren, weil diese für die Reform und die Zukunft der Arbeitsagentur und der Arbeitslosenversicherung von besonderer Bedeutung sind. Dabei ist wichtig festzustellen, dass sich aufgrund der Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt auch die Aufgaben der Arbeitsagentur grundlegend verändern und erweitern werden bzw. müssen. Neben der Vermittlung und Betreuung von Arbeitslosen wird es zukünftig viel mehr darum gehen, Menschen durch ihr ganzes Erwerbsleben von der Ausbildung bis zum Ruhestand zu begleiten, zu beraten und zu unterstützen. Wir Grünen fordern deswegen schon lange die Weiterentwicklung der Arbeitslosenversicherung zu einer Arbeitsversicherung. Die Hospitation bei der Arbeitsagentur hat mich darin bestätigt, dass wir da auf dem richtigen Weg sind.
Im Arbeitsagenturbezirk Offenbach gibt es eine vermutlich in der Bundesrepublik einzigartige Struktur denn es gibt hier gleich zwei kommunale Jobcenter, die sich unabhängig von der Arbeitsagentur um die Bezieher*innen von Arbeitslosengeld II kümmern. Der Arbeitsagenturbezirk Offenbach umfasst die Stadt Offenbach und den Landkreis Offenbach. Sowohl die Stadt als auch der Landkreis haben die Option gewählt, die Jobcenter als Kommune alleine zu betreiben. Von den ca. 15.000 Arbeitslosen in dem Arbeitsagenturbezirk wird nur etwa ein Drittel von der Arbeitsagentur betreut. Diese Struktur bedeutet für die Arbeit der Arbeitsagentur in Offenbach in mehrfacher Hinsicht eine besondere Situation.
Übergang von der Schule in den Arbeitsmarkt – richtungsweisendes Pilotprojekt Jugendberatungsbüro „RoOF“
Der Arbeitsagentur in Offenbach ist es ein besonderes Anliegen Schülerinnen und Schüler bei dem Einstieg in den Arbeitsmarkt, vor allem bei der Suche nach einem Ausbildungsplatz zu unterstützen. Dazu gehören regelmäßige Besuche in den Schulen, um direkt vor Ort Kontakte zu den Schüler*innen, Lehrer*innen und Eltern herzustellen. Da während meiner Hospitationszeit schon Schulferien waren, konnte ich an einem solchen Besuch nicht teilnehmen. Ich war allerdings bei einigen Beratungsgesprächen dabei und konnte außerdem mit mehreren der Beraterinnen und Berater sprechen.So habe ich einen Eindruck über unterschiedliche Problemlagen und Beratungsansätze erhalten: von jungen Sekundarstufe I-Schüler*innen, bei denen es um die Frage weiterführende Schule, Ausbildung oder Erwerbstätigkeit geht, über junge Erwachsene mit Hochschulzugangsberechtigung bis hin zu jungen Menschen mit Behinderungen. Letztere werden von der Bundesagentur auch betreut, wenn sie bzw. ihre Eltern Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch II beziehen.
Jugendliche ohne Behinderung, die eine Ausbildung suchen, werden zum Teil vom Jobcenter und zum Teil von der Arbeitsagentur betreut, was dann u.a. dazu führt, dass Jugendliche in einer Klasse unterschiedliche Unterstützungsangebote erhalten. Hinzu kommt, dass für Jugendliche nicht nur die Jobcenter (SGB II) und die Arbeitsagentur (SGB III), sondern auch noch die Kommune mit der Jugendhilfe und anderen Angeboten nach dem SGB VIII zuständig ist. Da soll ein junger Mensch noch durchblicken!
In Dietzenbach gibt es jetzt mit dem Jugendberatungsbüro RoOF („Richtig orientiert im Landkreis Offenbach“) ein Pilotprojekt, bei dem das Jobcenter, die Arbeitsagentur und der Landkreis an einem Ort zusammenarbeiten. Es muss dort nicht danach gefragt werden, zu welchem Rechtskreis jemand gehört, um sie dann zu der zuständigen Behörde zu schicken. Stattdessen können alle Jugendliche und junge Erwachsene, die Unterstützung brauchen, dorthin kommen und ihnen wird je nach Problem geholfen. Solche Pilotprojekte gibt es zum Teil auch an anderen Orten, allerdings ist es nach meinem Kenntnisstand das einzige Projekt, bei dem die Arbeitsagentur mit einem kommunalen Jobcenter einer Optionskommune zusammenarbeitet. Bisher gilt das Projekt nur für Dietzenbach, soll aber bei Erfolg auf den gesamten Landkreis ausgeweitet werden. Ich konnte einen Nachmittag am RoOF verbringen und wieder an mehreren Beratungsgesprächen teilnehmen sowie mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Gespräche über ihre Arbeit führen. Ich bin von dem Ansatz sehr angetan und auch von dem Einsatz und den Aktivitäten der Menschen, die dort arbeiten! Nach meinem Dafürhalten sollte es solche Institutionen flächendeckend geben, um den Jugendlichen und jungen Erwachsenen barrierefrei und ganzheitlich zu helfen. Mehr noch: Eigentlich sollte es solche Anlaufstellen nicht nur für Jugendliche geben, sondern auch für Erwachsene.
Informationen zu RoOF gibt es auf der Homepage
https://www.roof-kreis-offenbach.de/
sowie bei Instagram:
https://www.instagram.com/roof_dietzenbach/
Weiterbildung - zentrale Voraussetzung für die Veränderungen der Zukunft
Die Struktur von RoOF ist für mich auch ein Vorbild für einen anderen zukünftig wichtigen Bereich, nämlich die Weiterbildung von Arbeitslosen und Erwerbstätigen. Mit dem Qualifizierungschancengesetz, das der Bundestag letzten Herbst auch mit unserer Zustimmung beschlossen hat, wurde u.a. ein Recht auf Weiterbildungsberatung geschaffen und schon bestehenden Möglichkeiten weiter ausgebaut. Aus unserer Sicht eine wichtige und richtige Weichenstellung. Das wurde mir auch an zahlreichen Stellen, von der Berufsberatung bis zum Arbeitgeberservice, im Rahmen meiner Hospitation bestätigt. Nur: So richtig fahren die Züge noch nicht auf den neuen Gleisen, zum Teil müssen auch noch die neuen Gleise gelegt werden, also die notwendigen Strukturen aufgebaut, zusätzliches Personal eingestellt und qualifiziert werden. Die Weiterbildungsberatung, sowohl für Unternehmen wie auch Beschäftigte, spielt schon heute bei der Arbeitsagentur eine wichtige Rolle. Ich war selbst bei entsprechenden Beratungsgesprächen dabei. Es gibt aber noch keine eigene Abteilung Weiterbildung, sondern das findet im Rahmen der Berufsberatung bzw. Arbeitsvermittlung bei den Beschäftigten bzw. vom Arbeitgeberservice mit statt. Die Bundesagentur für Arbeit wird sich in Zukunft aber noch verstärkt um die Beratung und Unterstützung von Erwerbstätigen, die sich beruflich verändern wollen oder müssen, kümmern müssen.
Nach meinem Dafürhalten sollte es für die Weiterbildung eine ähnliche Struktur geben wie das Jugendberatungsbüro, also eine zentrale Anlaufstelle für Menschen, die sich weiterbilden wollen, aus welchen Gründen auch immer: Sei es, weil sie arbeitslos sind, sei es, weil sie erwerbstätig sind und sich beruflich verändern wollen oder müssen, oder weil sie einfach nur etwas Neues lernen wollen. Meiner Meinung nach sollte die Bundesagentur dabei eine zentrale Rolle spielen, aber mit örtlichen Akteur*innen, von der IHK bis zur Volkshochschule zusammenarbeiten, die auch in einer solchen Beratungsstelle vertreten sein sollten. So kann den Menschen direkt und unbürokratisch geholfen werden, während jetzt kaum jemand, der sich weiterbilden möchte, eigentlich weiß, welche Möglichkeiten es gibt und wo man sich unabhängig informieren kann.
Das Recht auf Weiterbildungsberatung reicht uns Grünen nicht aus, sondern wir wollen ein Recht auf Weiterbildung, das dann auch mit einer ausreichenden finanziellen Absicherung verbunden sein muss, damit sich die Menschen die Weiterbildung auch leisten können. In verschiedenen Gesprächen wurde mir gesagt, dass sowohl Erwerbstätige als auch Arbeitslose eine Weiterbildung nicht machen, weil es sich zwar mittelfristig lohnen würde, sie es sich aber kurzfristig nicht leisten können. Deswegen ist meines Erachtens im Rahmen der von den Grünen geforderter Arbeitsversicherung eine lebensstandardsichernde Leistung für Weiterbildungsphasen notwendig, die höher als das jetzige Arbeitslosengeld I bzw. das Arbeitslosengeld II ist.
Sicherungslücken schließen
Im Rahmen der Arbeitslosenversicherung gibt es finanzielle Sicherungslücken, die geschlossen werden sollten. So gibt es nicht nur im Bereich des Arbeitslosengeld II („Hartz IV“) Sanktionen, sondern auch beim Arbeitslosengeld I, bei dem sie „Sperrzeiten“ heißen. Beim Arbeitslosengeld II setzen wir Grüne uns für die Streichung der Sanktionen ein, weil wir finden, dass das Existenzminimum nicht gekürzt werden darf. Beim Arbeitslosengeld I handelt es sich in der Regel um mehr als nur das Existenzminimum. Insofern stellt sich hier die Frage etwas anders. Aber erstens kann und muss meines Erachtens hinterfragt werden, in welchen Fällen es eine Sperrzeit gibt. Sollte schon beim Versäumen eines Termins das Arbeitslosengeld gestrichen werden? Außerdem sollte zweitens auch in Sperrzeiten das Existenzminimum immer sichergestellt werden. Ich bin deswegen dafür, dass es ein Mindestarbeitslosengeld gibt, das in einer Sperrzeit nicht gekürzt werden kann.
Neben den Sperrzeiten kann es eine Sicherungslücke direkt am Anfang der Arbeitslosigkeit geben. Das Arbeitslosengeld wird nämlich erst ab dem Zeitpunkt gewährt, wenn sich jemand persönlich bei der Arbeitsagentur arbeitslos gemeldet hat, auch wenn die Person vorher schon telefonisch oder schriftlich ihre Arbeitslosigkeit gemeldet hat. Meines Erachtens sollte das Arbeitslosengeld aber ab dem Beginn der Arbeitslosigkeit gezahlt werden, gegebenenfalls rückwirkend, damit keine Sicherungslücke entsteht.
Fazit
Der Arbeitsmarkt steht vor großen Veränderungen. Dementsprechend muss die Bundesagentur für Arbeit neu aufgestellt werden. Vor diesem Hintergrund hat sich die Hospitation bei der Bundesagentur in Offenbar sehr gelohnt und den Horizont erweitert. Zum Teil ist die Bundesagentur schon heute auf dem richtigen Weg. Das Jugendberatungsbüro RoOF ist dafür ein vorbildhaftes Beispiel. Es ist aber noch viel zu tun. In puncto Weiterbildung sind zwar die Herausforderungen erkannt und es bewegt sich schon einiges, aber hier ist die Bundesagentur für Arbeit noch ganz am Anfang. Es muss meines Erachtens noch grundsätzlicher gedacht und gehandelt werden. Es braucht neue Strukturen und eine neue Form der finanziellen Absicherung, um ein Recht auf Weiterbildung zu schaffen. Doch nicht nur für Weiterbildung muss die finanzielle Absicherung verbessert werden, sondern bestehende Sicherungslücken müssen geschlossen werden, damit das Existenzminimum immer garantiert wird. Reformen der Arbeitslosenversicherung und der Grundsicherung (Stichwort: Garantiesicherung) müssen hierbei zusammengedacht werden.