Gastbeitrag | 16.06.2020

Glücklicher mit Grundeinkommen - Von Finnland lernen

Der Gastbeitrag von Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn erschien am 16.06.2020 in der Frankfurter Rundschau und ist unter diesem Link zu finden.

Glücklicher mit Grundeinkommen - Von Finnland lernen

Die Corona-Pandemie verdeutlicht einmal mehr, wie wichtig es ist, den Menschen die Existenznöte zu nehmen. Sie macht die Lücken der bestehenden Existenzsicherung unübersehbar: Für Selbstständige, für Künstlerinnen und Künstler, für Kurzarbeitende, für Eltern, für Studierende.

Die Politik müht sich derzeit, diese Lücken zu stopfen, mehr oder weniger erfolgreich. Gäbe es ein Grundeinkommen, hätten wir ein paar Probleme weniger. Das sehen zumindest fast eine halbe Million Menschen so, die eine Petition bei change.org unterschrieben, und mehr als 170 000 Menschen, die eine Petition an den Deutschen Bundestag unterstützt haben.

So viele Befürworterinnen und Befürworter einer Bundestagspetition gab es noch nie. Zuletzt haben 20 Organisationen und über 160 Einzelpersonen aus Wissenschaft, Kultur und Politik in einem Appell eine ernsthafte politische Diskussion zur Einführung eines Grundeinkommens gefordert, darunter 14 Bundestagsabgeordnete. Seit kurzem liegen die Auswertungen des finnischen Grundeinkommen-Modellprojekts vor.

Bis Ende 2019 erhielten 2000 zufällig ausgewählte Arbeitslose zwei Jahre ein Grundeinkommen in gleicher Höhe wie ihre bisherige Arbeitslosenunterstützung, aber ohne Einkommensprüfung und ohne die Bedingung, aktiv auf dem Arbeitsmarkt zu sein. Aus den Ergebnissen des Experiments sollten wir lernen.

Schauen wir zunächst auf die arbeitsmarktpolitischen Wirkungen. Menschen mit Grundeinkommen fanden etwas einfacher und öfter eine Beschäftigung als andere Arbeitslose, die beweisen müssen, dass sie sich um eine Arbeit bemühten und sanktioniert wurden, falls diese Anstrengungen nicht den behördlichen Erwartungen entsprachen. Die These vieler Kritikerinnen und Kritiker eines Grundeinkommens, Leistungen ohne Bedingungen würden die Motivation nach Arbeit zu suchen senken, wurde nicht bestätigt, im Gegenteil.

Schauen wir nun auf die zweite wesentliche Erkenntnis des Experiments: Die Menschen waren signifikant zufriedener und glücklicher. Es zeigte sich außerdem, dass sie mehr Vertrauen in Mitmenschen und staatliche Institutionen entwickelten – ein zentraler Aspekt für jeden Sozialstaat. Darüber hinaus verbesserten sich die kognitiven Fähigkeiten der Probanden sowie deren Erinnerungsvermögen.

Sie waren also nicht nur glücklicher und weniger gestresst, sondern in der Folge auch gesünder und leistungsfähiger. Sie zeigten ein gesteigertes soziales Engagement, beteiligten sich in der Nachbarschaftshilfe, für Pflege- und Familienarbeit war mehr Raum. Ein gesteigertes Sicherheitsempfinden ersetzte die Angst vor Existenznöten, nahm den Menschen den psychischen Druck. Und das alles nur, weil die Sozialleistung voraussetzungslos und unbürokratisch ausbezahlt wurde.

Wir können also von dem finnischen Experiment lernen: Mit Grundeinkommen geht es den Menschen subjektiv besser und es hat positive Effekte auf den Arbeitsmarkt.

Wir sollten aus Finnland aber auch aus den Fehlern lernen, insbesondere, wenn es darum geht, in Deutschland ein Grundeinkommensprojekt auf den Weg zu bringen. In Finnland lief einiges schief. Ein wesentlicher Kritikpunkt ist die Beschränkung auf Arbeitslose – und bei genauerem Hinsehen: auf eine bestimmte Gruppe von Arbeitslosen, nämlich diejenigen, die das Mindestarbeitslosengeld erhalten, also im Wesentlichen Langzeitarbeitslose.

Vermutlich wäre der positive Arbeitsmarkteffekt bei Kurzzeitarbeitslosen noch größer gewesen, weil sie bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben. Aber was ist mit Erwerbstätigen? Wie würde sich hier ein Grundeinkommen auf Zufriedenheit und Erwerbsbeteiligung auswirken? Darauf gibt das finnische Experiment keine Antworten, es ist aber für die Gesamtbewertung eines Grundeinkommens wichtig.

Die die Studie begleitenden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben das von Anfang an kritisiert. Außerdem wäre aus ihrer Sicht die Auszahlung von unterschiedlichen Höhen, eine größere Fallzahl sowie regionale Untersuchungen sinnvoll gewesen. Das hätte allgemeinere Schlussfolgerungen ermöglicht. Es ist eine der zentralen Lehren aus Finnland, den Forscherinnen und Forschern mehr Freiraum zu geben, ohne Einmischung der Politik, sowohl bei der Konzeption des Experiments als auch bei der Auswertung.

Wir stehen in den nächsten Jahren vor wichtigen Veränderungen. Um diese zu meistern, ist eine bessere Existenzsicherung nötig. Die Corona-Krise zeigt, dass die jetzige Grundsicherung dafür nicht ausreicht. Es ist Zeit für eine ernsthafte Debatte über das Grundeinkommen. Ein eigenes Modellprojekt kann dafür eine sinnvolle Grundlage sein.