Interview | 28.10.2016

"Bedingungsloses Grundinterview mit Wolfgang Strengmann-Kuhn"

"Die Novelle - Zentrale für Experimentelles" führte eine Reihe von Interviews zum Thema Bedingungsloses Grundeinkommen durch und befragte u.a. auch Wolfgang Strengmann-Kuhn mit teils kuriosen, teils philosophischen Fragen dazu.

Dieses Interview wurde am 02.10.2016 auf der Website http://novelle.wtf/de/ veröffentlicht und erscheint aber auch in gedruckter Version. Zu kaufen auf www.amazon.de

Autor:  Daniel Ableev

Daniel Ableev (DA): Wie würden Sie einem Regenbogen, der bekanntermaßen nicht zu den schlausten Zeitgenossen zählt, erklären, was Bedingungsloses Grundeinkommen (im Folgenden „Bemm“) ist und wie es funktioniert?

Wolfgang Strengmann-Kuhn (WSK): Damit ein Regenbogen existiert, braucht es Sonnenschein und Regen. Menschen sind komplizierter. Auch Menschen brauchen Sonne, aber sie brauchen auch Geld, um sich Güter kaufen zu können, von denen sie leben. Dafür ist das Grundeinkommen. Damit jeder Mensch existieren kann.

DA: Das Bemm ist ja angesichts der heutigen sozialen und wirtschaftlichen Strukturen reichlich experimentell. Anders gefragt: Warum gilt es eigentlich als so normal, etwas tun zu sollen, um zu überleben?

WSK: Viele Menschen glauben, dass Tun die Voraussetzung für Überleben ist. Dabei ist das Überleben Voraussetzung für das Tun. Erst wenn wir das Überleben vom Tun trennen, wird aus dem Überleben Leben, weil wir dann viel mehr Möglichkeiten für das Tun haben.

DA: Sollte man versuchen, zum Bemm über kleine Zwischenschritte wie die gesetzlich geregelte 4/3/2-Tage-Woche zu gelangen?

WSK: Nein, die Woche sollte weiterhin sieben Tage haben. Und für jeden Tag braucht es ein Grundeinkommen.

DA: Geldverdienen und Königshäuser – was sind Ihre Assoziationen zu diesem Diptychon?

WSK: Königinnen und Könige brauchen kein Geld verdienen. Die Gesellschaft gibt ihnen das, was sie zum Leben brauchen und das, was sie dafür brauchen, Königinnen und Könige zu sein. Das sollte nicht nur für Königinnen und Könige gelten, sondern für alle Menschen. Das Grundeinkommen sorgt dafür, dass die Menschen über sich selbst bestimmen können, ihre eigenen Königinnen und Könige werden.

DA: Was ist mit den ganzen Scheißjobs da draußen, die nicht nur langweilig und menschenwidrig, sondern auch schlecht entlohnt sind? Sollten sie nicht viel besser bezahlt sein? Wer wird die noch machen in der Bemm-Ära?

WSK: Es gibt immer nur drei Möglichkeiten. Entweder man lässt jemand anderen für sich arbeiten. Wenn es ein Bemm gibt und die Menschen nicht mehr arbeiten müssen, um ihre Existenz zu sichern, gilt: Je unangenehmer die Tätigkeit ist, um so höher muss der Lohn sein. Oder es macht eine Maschine. Oder man muss den Sch… selber machen.

DA: Wie realistisch ist die Implementierung des Bemms in den nächsten 10(0000) Jahren?

WSK: Das hängt von den Menschen ab. Wenn sie wollen, wäre es schnell machbar. Das Geld ist da.

DA: Was ist Ihrer Meinung nach das Geheimnis des menschlichen Bewusstseins? Oder besteht es lediglich darin, dass es gar keins ist?

WSK: Ich weiß, dass ich nichts weiß.

DA: Bei der Vorstellung, über Freiheit und Freizeit zu verfügen, dürften so mancher geplagten Seele die Glückstränen kommen – ist denn für entsprechende Salzwasserauffang- und Aufbereitungsanlagen gesorgt?

WSK: Die Menschen werden sich sehr schnell an Freiheit und Freizeit gewöhnen – und sich bald gar nicht mehr vorstellen können, wie es ohne Grundeinkommen war. Die Glückstränen werden deswegen nur von kurzer Dauer sein. Glück funktioniert dann auch ohne Tränen.

DA: Es gibt mehrere hundert Menschen auf der Welt, die es sich nicht leisten können, ihre Zeit mit Stumpfsinn zu verbringen, nur um nicht zu verhungern und nackt in der Müllpresse zu landen. Der durch das Bemm ausgelöste kulturelle und gesellschaftliche Paradigmenwechsel wäre ohnegleichen. Die Weltdepressivität würde massiv absinken, denn Geld ist einer der Hauptmotoren für mentale und emotionale Blockaden sowie Auslöschungen. Wir müssen uns irgendwie vom Geldgestus dekontaminieren lassen … Welche anderen monumentalen gesellschaftlichen Experimente sind denkbar?

WSK: Eine Welt ohne Grenzen, eine Welt ohne Waffen und demokratische Unternehmen, in denen gilt: ein Mensch – eine Stimme.

DA: Was, glauben Sie, wären die weitreichendsten Konsequenzen einer solchen utopistischen Wandlung

WSK: Woher soll ich das im Vorhinein wissen? Um die Frage zu beantworten, müssen wir endlich damit anfangen.