Rede | 20.11.2020

Auch Selbständige brauchen unbürokratische Leistungen

Deutscher Bundestag 20.11.2020

2./3. Lesung Verlängerung Kurzarbeitergeld

Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die derzeitigen Beschränkungen, vor allen Dingen die Beschränkungen der sozialen Kontakte, sind für uns alle schwierig; aber sie sind notwendig. Sie sind notwendig aus gesundheitlichen Gründen, zum Schutz, damit die Pandemie nicht weiter vorangeht. Aber sie sind auch aus ökonomischen Gründen wichtig.
Ohne die Einschränkungen, die wir jetzt haben, wäre die ökonomische Krise viel größer. Sie sind nicht die Ursache der Krise, wie die AfD immer behauptet, sondern sie sind auch deshalb notwendig, um die ökonomische Krise zu begrenzen. Gucken Sie nach Schweden! Gucken Sie in die USA! Da sehen Sie, was passiert, wenn nicht so stark gegen Corona gekämpft wird. Das macht die ganze Krise viel schlimmer. Auch deswegen brauchen wir diese Einschränkungen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das musste mal gesagt werden! Richtig!)

Wir sind in einer ganz labilen ökonomischen Phase. Wir wissen nicht, wie es mit der Pandemie weitergeht. Es gibt ein paar Hoffnungsschimmer. Aber wenn man sich die Zahlen bei uns anguckt - heute gibt es einen neuen Rekordwert bei den Infektionszahlen -, stellt man fest: Wir haben die Lage noch nicht im Griff. Es ist unsicher, wie es in den nächsten Monaten weitergeht; es ist auch weltwirtschaftlich noch nicht klar. Deswegen ist es sehr richtig, dass die Kurzarbeiterregelungen verlängert werden, sowohl was die Möglichkeit zur Kurzarbeit als auch den leichteren Einstieg in die Kurzarbeit angeht. Das ist ein ganz wichtiges Mittel in dieser Krise.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Ich sage es vorweg: Wir werden dem Gesetz nicht zustimmen. Denn in diesem Gesetz geht es gar nicht darum, die Möglichkeit zur Kurzarbeit und den leichteren Zugang zu Kurzarbeit zu verlängern. Das ist nämlich bereits durch Verordnungen passiert; das ist richtig und gut so. In dem Gesetz geht es um viele Detailregelungen. Einige, die eben schon erwähnt worden sind und die insbesondere auch durch die Ausschussberatungen dazugekommen sind, teilen wir; aber an den wichtigen Kernpunkten haben wir Kritik.
Erstens geht es darum, dass das Kurzarbeitergeld angehoben wird, und zwar je nachdem, wie lange die Leute in Kurzarbeit sind. Das geht an den Bedürfnissen der Betroffenen vollkommen vorbei. Das zeigte auch die in der Anhörung angeführte Untersuchung des IAB, wonach die Befragten gesagt haben: Wir brauchen die Leistungen jetzt, und es wäre günstig, wenn Menschen mit geringem Einkommen eine höhere Leistung bekommen würden.  - Genau das haben wir Grünen vorgeschlagen: ein Kurzarbeitergeld Plus, bei dem die Lohnersatzrate für geringe Einkommen höher ist als für die anderen.
Das wäre der bessere Weg gewesen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Zweiter Punkt. Sie verlängern die Regelung zu den Hinzuverdienstmöglichkeiten. Aber Sie verschlechtern sie; denn Sie begrenzen sie auf geringfügige Beschäftigung.
Das ist völlig unzureichend. Sie hätten die alte Regelung einfach nur verlängern müssen. Die Möglichkeit des Hinzuverdienstes nur auf geringfügige Beschäftigung zu beschränken, ist wieder einmal eine Förderung von geringfügiger Beschäftigung, und das finden wir falsch.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Drittens. Anreize für Weiterbildung sind richtig. Auch das, was im Gesetzentwurf steht, ist im Grundsatz richtig. Auch die Änderungen, die in den Ausschussberatungen vorgenommen worden sind, sind richtig. Aber das soll erst ab Mitte nächsten Jahres gelten. Warum das? Wir brauchen das jetzt. Wir brauchen jetzt eine Weiterbildungsoffensive, die mit der Kurzarbeit verknüpft wird.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Mit einem Weiterbildungsbonus auf Kurzarbeitergeld, Arbeitslosengeld I und Arbeitslosengeld II würden Sie jetzt Anreize für Weiterbildung schaffen. Wir brauchen jetzt eine Weiterbildungsoffensive, und das nicht nur für die Menschen in Kurzarbeit, sondern auch für die Arbeitslosen. Dazu gehört finanzielle Unterstützung wie das von uns geforderte Weiterbildungsgeld, das für viele eine Weiterbildung erst möglich macht. Dazu gehört aber gerade jetzt auch ein Ausbau der digitalen Infrastruktur: bei den Arbeitsagenturen, bei den Jobcentern, aber auch bei den Trägerinnen und Trägern, damit Beratung, Vermittlung und Weiterbildung auch in diesen Coronazeiten besser möglich werden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble:
Herr Kollege Strengmann-Kuhn, der Kollege Sichert würde gerne eine Zwischenfrage stellen.

Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Nein, danke. - Menschen in Beschäftigung zu halten, ist wichtig. Deswegen ist die Kurzarbeit ein gutes Mittel. Im Ausschuss hat uns - das ist eben schon erwähnt worden - der Chef der Bundesagentur für Arbeit Scheele gesagt: Die Kurzarbeit wirkt. Damit werden die Menschen in Beschäftigung gehalten. - Er hat aber auch gesagt: Der Anstieg der Arbeitslosigkeit entsteht vor allen Dingen dadurch, dass Menschen nicht in Beschäftigung kommen. - Deswegen müssen wir auch das unbedingt in den Blick nehmen. Arbeitslosigkeit, die jetzt entsteht, darf sich nicht verfestigen. Wir müssen ernsthaft darüber nachdenken, wie wir Einstellungen stärker fördern können, ohne dabei Mitnahmeeffekte zu verursachen.
Auch Existenzgründungen können in diesen Zeiten ein Weg aus der Arbeitslosigkeit sein. Mit dem Gründungszuschuss gibt es ein Mittel, das im Grundsatz sehr erfolgreich ist. Wir finden es wichtig, diesen Gründungszuschuss wieder stärker einzusetzen. Wir brauchen doch Ideen für die Zukunft. Diese sollten wir stärker fördern.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir müssen aber vor allem noch mehr für die jungen Menschen machen, die einen Ausbildungsplatz oder nach einer Ausbildung erstmals einen Arbeitsplatz suchen. Wir müssen verhindern, dass es durch die Coronakrise eine verlorene Generation gibt. Da braucht es noch mehr Anstrengungen der Bundesregierung.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Jessica Tatti (DIE LINKE))

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen mehr machen, um Arbeitslosigkeit zu beenden. Aber es ist auch klar: In diesen Zeiten ist es für Arbeitslose besonders schwierig, einen Arbeitsplatz zu finden, und es dauert länger. Deswegen ist es für mich völlig unverständlich, dass Sie die Sonderregelung beim Arbeitslosengeld I nicht auch verlängert haben. Es ist wichtig, dass Sie auch diese Sonderregelung verlängern. Bitte liefern Sie da noch nach!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Schließlich müssen wir auch an diejenigen denken, die nicht vom Kurzarbeitergeld profitieren, aber in einer ähnlichen Situation sind: die vielen Selbstständigen, freiberuflich Tätigen und Künstlerinnen und Künstler, denen das Einkommen ebenfalls weggebrochen ist. Sorgen Sie endlich dafür, dass sie ebenfalls eine einfache, unbürokratische Leistung bekommen, die ihren Lebensunterhalt sichert!

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble:
Zu einer Zwischenbemerkung erteile ich das Wort dem Kollegen Martin Sichert, AfD.
Martin Sichert (AfD):  - Protokoll noch nichtveröffentlicht
Präsident Dr. Wolfgang Schäuble:
Zur Erwiderung der Kollege Strengmann-Kuhn.

Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Herr Kollege, erstens. Was die ökonomischen Zahlen angeht, stimmt das nicht. Zweitens. Gucken Sie sich mal die Zahl der Toten in Schweden an! Schauen Sie sich die Sterblichkeit an! Gemessen an der Bevölkerung ist die Zahl der Toten,  (Martin Sichert (AfD): Sie haben von der Wirtschaft gesprochen!) die durch Corona gestorben sind, fünfmal so hoch wie in Deutschland. Fünfmal so hoch! Das wäre die Konsequenz Ihrer Politik, wenn Sie sich durchsetzen würden. Das gilt es zu verhindern.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD - Zuruf von der CDU/CSU: Die gehen über Leichen!)

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble:
Nächster Redner ist der Kollege Bernd Rützel, SPD.
(Beifall bei der SPD)