04.04.2019, 19. Wahlperiode, 42. Sitzung des Deutschen Bundestages, Tagesordnungspunkt 6
Rede zum Antrag Drs Nr: 19/8287 "Für ein Europa das schützt – Soziale Absicherung europaweit garantieren"
Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die großen Herausforderungen, die auf uns zukommen - Klimakrise, globale Gerechtigkeit, Digitalisierung, Globalisierung -, werden wir nur durch eine starke Europäische Union meistern können.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Deswegen brauchen wir nicht mehr Nationalismus, sondern mehr Europa. Wir brauchen mehr Zusammenhalt in der EU; denn nur gemeinsam sind wir stark.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Leider ist der Zusammenhalt in der EU bedroht. Mit dem Brexit bricht jetzt sogar ein ganzes Land weg. Aber auch in den anderen Ländern gibt es nationalistische Bestrebungen, nationalistische Parteien, die die EU schwächen wollen. Diesen nationalistischen Parteien müssen wir uns gemeinsam entgegenstellen und für ein starkes Europa kämpfen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Ein starkes Europa geht nur mit einem stärkeren sozialen Zusammenhalt. Wir müssen die Herzen der Menschen erreichen. Deswegen muss deutlicher werden, dass dieses großartige Projekt Europäische Union nicht nur eine Wirtschaftsunion ist, sondern auch und gerade für die Menschen da ist. Wir müssen das soziale Europa stärken und weiter ausbauen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Auch die Bundesregierung oder die Mitglieder der Regierungskoalition reden in Sonntagsreden immer mal wieder über das soziale Europa - und wahrscheinlich auch gleich in dieser Debatte. Schöne Reden reichen aber nicht. Die Regierung muss sich an ihren Taten messen lassen. Von den positiven Punkten, die es im Koalitionsvertrag ja zum sozialen Europa gibt, hat sie allerdings so gut wie nichts umgesetzt. Die CDU, allen voran ihre Vorsitzende, hat sich jetzt sogar explizit gegen weitere Schritte in Richtung soziales Europa ausgesprochen.
Aber es ist noch schlimmer: Immer dann, wenn es um die Einschränkung von Sozialleistungen für Unionsbürgerinnen und Unionsbürger geht, ist die Große Koalition vorne mit dabei - nicht nur CDU und CSU, sondern auch die SPD. Sie haben sich auf EU-Ebene dafür eingesetzt - zum Glück erfolglos. Aber national hat die Große Koalition in den letzten Jahren den Sozialleistungsbezug von Unionsbürgerinnen und Unionsbürgern eingeschränkt. Und just heute Morgen hat sie einen Gesetzentwurf in den Bundestag eingebracht, mit dem sogar Kindern das Kindergeld verweigert werden soll. Das ist nicht mehr, sondern weniger soziales Europa.
Wir brauchen aber mehr soziales Europa.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Und das fängt hier bei uns an. Wir Grünen schlagen hier und heute elf Punkte vor, wie wir das soziale Europa stärken können.
Uns Grünen ist besonders wichtig, die Armut in der Europäischen Union zu verringern. Dazu braucht es auf EU-Ebene eine gemeinsame Strategie und gemeinsame Ziele. Wir haben uns alle im Rahmen der Agenda 2030 dazu verpflichtet, die Armut in allen Staaten der Welt bis 2030 zu halbieren. Wie wäre es, wenn wir uns dieses Ziel auch auf EU-Ebene setzen würden und mit gemeinsamen Maßnahmen hinterlegen würden? Das wäre doch mal ein starkes Zeichen an die Bevölkerung in der EU.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Ein zentraler Vorschlag, den wir Grüne dazu machen, ist, uns in der EU darauf zu verständigen, dass es in allen Mitgliedstaaten eine Grundsicherung gibt, die vor Armut schützt. Eine Grundsicherung überall in der EU - das wäre eine wichtige Basis für ein soziales Europa.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Um Beschäftigte besser abzusichern, fordern wir, uns in der EU auf Mindestlöhne zu verständigen, die vor Armut schützen, das Prinzip „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Arbeitsplatz“ überall durchzusetzen und außerdem dafür zu sorgen, dass Frauen für gleiche und gleichwertige Arbeit endlich auch den gleichen Lohn erhalten.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)
Um die Absicherung von Arbeitslosen zu verbessern, schlagen wir eine Rückversicherung der Arbeitslosenversicherungen vor, die mit Mindeststandards für die nationalen Systeme verbunden werden kann. Dadurch werden Arbeitslose besser abgesichert. Gleichzeitig stabilisiert das die Wirtschafts- und Währungsunion. Hier können wir zwei Ziele mit einem Mittel gut erreichen.
Wir müssen mehr gegen Jugendarbeitslosigkeit in Europa machen und dafür sorgen, dass alle jungen Menschen in der EU einen Ausbildungsplatz bekommen. Europäische Betriebsräte müssen gestärkt werden, und wir können auch für Gesundheitssysteme und Alterssicherung Mindeststandards verabschieden. Und: Wir sollten uns für eine bessere soziale Absicherung der Freizügigkeit einsetzen und damit bei uns anfangen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Norbert Kleinwächter (AfD): Grüne Traumtänzerei!)
All diese Maßnahmen sind jetzt schon möglich. Wir sollten aber auch darüber hinausdenken. So schlagen wir Grüne wie viele andere Initiativen, Wohlfahrtsverbände, Gewerkschaften und andere eine Ergänzung der Europäischen Verträge vor, die darauf abzielt, dass soziale und wirtschaftspolitische Ziele gleichwertig sind, also eine soziale Fortschrittsklausel.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Mittelfristig ist es darüber hinaus aber auch wichtig, die sozialen Sicherungssysteme stärker zu europäisieren, zum Beispiel durch eine europäische Arbeitslosenversicherung oder ein europäisches Kindergeld, um zu verdeutlichen: Wir sind alle Unionsbürgerinnen und Unionsbürger, überall in der EU, und wir stehen füreinander ein.
2017 hat die Europäische Union die Europäische Säule sozialer Rechte proklamiert. Es ist jetzt an uns, diese sozialen Rechte zu konkretisieren und verbindlicher zu machen - für mehr sozialen Zusammenhalt, für ein starkes Europa.
Vielen Dank.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)