Rede | 01.06.2017

Bundesversorgungsgesetz

Zu Protokoll gegebene Reden

zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs

eines Gesetzes zur Änderung des Bundesversorgungsgesetzes und anderer Vorschriften (Tagesordnungspunkt 34):

Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN):

Die Große Koalition mutet dem Bundestag mit dem Gesetzentwurf, den wir hier heute diskutieren, enorm viel zu; denn eigentlich ist es auch nicht ein Gesetzentwurf, sondern ein sogenannter Omnibus, das heißt, es handelt sich um einen Gesetzentwurf, an den weitere Gesetzentwürfe angehängt wurden – in diesem Fall viele Gesetzentwürfe. Das Verfahren ist eines, das ich in der Zeit, die ich im Bundestag bin, noch nicht erlebt habe. Der ursprüngliche Gesetzentwurf enthielt zehn Seiten. Dabei ging es um einfache Anpassungen wie die Anhebung der Schonvermögen im Bundesversorgungsgesetz und der Kriegsopferfürsorge, die wir als grüne Bundestagsfraktion begrüßen und mittragen. Doch dann legte man kurz vor der Anhörung im Ausschuss für Arbeit und Soziales einen ersten Änderungsantrag vor, der nicht weniger als 75 Seiten umfasste. Dazu gehörten hochkomplexe und grundlegende Veränderungen des Sozial- und Finanzdatenschutzes insbesondere im SGB I sowie in der Abgabenordnung. Hinzu kam noch die umfangreiche zweite Tranche der Umsetzung der DGSVO, der Datenschutz-Grundverordnung. Der eigentlich für Datenschutz zuständige Innenausschuss wusste davon nichts. Hinzu kam eine äußerst ungewöhnliche Sachverständigenanhörung.

So gab es zu manchen Teilen, wie den Änderungen zum Asylbewerberleistungsgesetz, nur einen einzigen Sachverständigen, der sich dazu geäußert hat. Die Bundesdatenschutzbeauftragte und der Hamburger Datenschutzbeauftragte betonten in ihren schriftlichen Stellungnahmen, dass sie wegen der Kürze der Zeit nur zu ausgewählten Fragen und nur kursorisch Stellung nehmen konnten. Hinzu kam, dass die große Koalition weniger als 24 Stunden vor der Ausschussberatung einen weiteren, 90-seitigen Änderungsantrag vorlegte. Alles zusammen genommen ist das ein Verfahren, das formal noch korrekt ist, aber eigentlich ist es unmöglich, die Gesetzestexte bei einem solchen Verfahren noch ausreichend zu prüfen. Ich schiebe das vorweg und betone das, weil es einen Teil unserer Ablehnung heute erklärt, obwohl es einige Aspekte in dem Gesetzentwurf gibt, die wir richtig fnden und ausdrücklich unterstützen.

Dass wir den ursprünglichen Gesetzentwurf unterstützt hätten, hatte ich schon gesagt. Positiv an den Änderungsanträgen ist außerdem die Einführung eines vergabespezifschen Mindestentgeltes für Aus- und Weiterbildungsdienstleistungen im SGB II und III zu bewerten. Vor allem begrüßen wir als grüne Bundestagsfraktion das Gesetz zur Sicherung von Arbeitnehmerrechten in der Fleischwirtschaft. Gerade die Fleischwirtschaftsbranche ist mit ihrer hohen Dichte an mafösen Strukturen und den oftmals katastrophalen Arbeits- und Lohnbedingungen seit Jahren ein Problem. Eigentlich gelobte die Fleischbranche Besserung. Doch sind die Zustände in der Fleischindustrie noch immer verheerend. Noch immer gibt es zahlreiche Klagen von Beschäftigten über ausbeuterische Arbeitsbedingungen. Die Wohn- und Lebenssituationen sind höchst prekär. Es geht um Steuerund Sozialversicherungsbetrug. In diesem Industriezweig wird ein gnadenloser Konkurrenzkampf ausgetragen, und zwar ausschließlich auf dem Rücken der Beschäftigten. Der Branchenmindestlohn reicht da nicht aus, und deshalb fordern wir Grünen schon lange weitergehende Regelungen.

Der Gesetzentwurf greift unsere jahrelange Kritik endlich auf. Deshalb begrüßen wir, dass jetzt ein Gesetz zur Sicherung der Arbeitnehmerrechte innerhalb der Fleischwirtschaft geschafen wird. Die vorgelegten Vorschläge wurden auch von den Sachverständigen in der Anhörung unterstützt.

Wir hofen sehr, dass das Gesetz auch tatsächlich Wirkung zeigt. Wir haben deshalb im Ausschuss in getrennter Abstimmung auch dafür gestimmt. Zweifel haben wir an den Vorschlägen beim Asylbewerberleistungsgesetz. Hier geht es um verbesserte Möglichkeiten von Behörden, Fingerabdrücke von Asylbewerber und Asylbewerberinnen zu nehmen, um deren Identität zu überprüfen. Hintergrund der Änderungen sind die Mehrfachidentitäten von Anis Amri. Es geht also um das Schließen von Sicherheitslücken – und nicht, wie in der Begründung steht, um Sozialmissbrauch. Das scheint einerseits sinnvoll, andererseits bleiben datenschutzrechtliche Zweifel, der Hauch eines Generalverdachtes gegenüber Gefüchteten sowie fehlende Lösungsansätze, was die praktische Umsetzung des Gesetzes bezüglich Sachmittel und Personalausstattung betrift. Wir haben uns deswegen im Ausschuss dazu enthalten. Neben dem beschriebenen Verfahren sind es vor allem die Datenschutzbedenken, die auch durch die beiden Datenschutzbeauftragten in der Anhörung betont wurden, die für uns zu einer Gesamtablehnung führen. Der Gesetzentwurf drängt die Datenschutzrechte Betrofener, die in der Datenschutz-Grundverordnung durch unmittelbar geltendes EU-Recht geschafen wurden, deutlich zurück. Die Beschränkungen der Rechte auf Auskunft und Information, der Ausschluss des Rechts auf Widerspruch, die Einschränkung des Rechts auf Löschung – all das geht weit über das von der DSGVO erlaubte Maß hinaus.

Wir lehnen dieses Omnibus-Gesetz ab und sollten – egal in welcher Konstellation – in der nächsten Legislaturperiode dafür sorgen, dass es solche Omnibusgesetzverfahren, wie wir es hier erlebt haben, nicht mehr gibt.

Das gesamte Protokoll mit allen Reden gibt es hier S. 333: http://dip21.bundestag.de/dip21/btp/18/18237.pdf=#333