Rede | 10.11.2016

Deutliches Signal setzen: Europäische Sozialcharta endlich ratifizieren!

10.11.2016, 199. Sitzung des Deutschen Bundestags, 2. Lesung des Antrags von DIE LINKE "50 Jahre Europäische Sozialcharta – Deutschlands Verpflichtungen einhalten und die Sozialcharta weiterentwickeln" Drucksachen 18/4092

Link zum Protokoll: http://dip21.bundestag.de/dip21/btp/18/18199.pdf #page=133

Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben diesen Antrag bereits am 26. Februar 2015 hier im Plenum diskutiert. Das ist deutlich über anderthalb Jahre her. Ich habe mir noch einmal das Protokoll vorgenommen. Frau Glöckner, Sie haben es damals schon ähnlich gesagt. Sie haben Ihre Rede damit beendet, nachdem Sie gesagt haben, dass noch Dinge geprüft werden müssen:

Diese Zeit möchte ich der Regierung und vor allem auch dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales unter Führung meiner Kollegin Andrea Nahles zugestehen.

Dann kommt der letzte Satz:

Am Ende dieser Prüfung muss aber noch in dieser Legislaturperiode ein Ergebnis stehen.

„Muss“ - die Legislaturperiode geht langsam zu Ende, es wird allmählich Zeit, dass Sie diesem Parlament etwas vorlegen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)

Es reicht nicht, es bei Lippenbekenntnissen zu belassen. Zur sozialen Situation in Deutschland reicht es nicht, aufzuzählen, was man gemacht hat, sondern wichtig ist, was am Ende herauskommt. Im nächsten Armuts- und Reichtumsbericht wird wahrscheinlich sehr deutlich, dass in Deutschland die Schere zwischen Arm und Reich weiterhin auseinanderklafft, dass in Deutschland weiterhin Millionen Kinder in Armut leben, dass die Altersarmut in Deutschland steigt. Es gibt noch wahnsinnig viel zu tun. Da darf man sich nicht rausreden und es nicht schönreden. Das reicht an dieser Stelle nicht, sondern man muss etwas tun.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Das gilt auch für die Frage bezüglich sozialer Menschenrechte und soziales Europa. Wir müssen als Deutschland eigentlich Vorreiter sein und nicht Schlusslicht. Es reicht nicht aus, wenn man, wie es die Bundesministerin macht, in Sonntagsreden oder in einem Gastbeitrag über das soziale Europa redet, sondern man muss Butter bei die Fische geben und tatsächlich voranschreiten. Das fängt bei uns zu Hause an. Wir behandeln morgen zum Beispiel einen Gesetzentwurf, mit dem der Zugang zu Sozialleistungen für Unionsbürgerinnen und -bürger wiederum drastisch eingeschränkt wird. Das geht genau in die falsche Richtung; das ist das falsche Signal.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)

Wir müssen da in die andere Richtung gehen. Wir brauchen eine bessere Sicherung, wir brauchen mehr soziales Europa.

Ich komme zu Vereinbarungen in der EU und erinnere an den EU-2020-Prozess, in dem ein Armutsbekämpfungsziel vereinbart worden ist. Die Bundesregierung stellt sich einfach hin und sagt: Die dort festgelegten Armutsindikatoren kümmern uns nicht; wir wählen einen eigenen Indikator. - Wir müssen uns auch an die Vereinbarungen in der Europäischen Union halten. Auch da wünschte ich mir, dass Deutschland Vorreiter und nicht Schlusslicht wäre -

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Andrej Hunko (DIE LINKE))

ganz abgesehen von vielen anderen Maßnahmen auf europäischer Ebene, beispielsweise endlich dafür zu sorgen, dass es eine Mindesteinkommensrichtlinie oder Mindeststandards in den sozialen Sicherungssystemen gibt. All das taucht in Reden immer mal wieder auf - in der praktischen Politik fehlt es.

Die Probleme sind natürlich nicht allein durch die Ratifizierung der Europäischen Sozialcharta zu lösen; da haben Sie völlig recht. Aber was ist das für ein Signal, dass wir die revidierte Fassung nach 20 Jahren immer noch nicht ratifiziert haben? Was sagen wir der Türkei und Russland, die sie ratifiziert haben, aber die Rechte nicht umsetzen? Wir haben doch überhaupt kein Argument, wenn wir sagen: Ihr setzt das nicht um. - Die können dann doch sagen: Ja, ihr ratifiziert das noch nicht mal. - Es würde doch eine Stärkung unserer Position bedeuten, wenn wir das endlich machten - deswegen noch einmal der Appell. Es wäre ein starkes Symbol, wenn wir das noch in dieser Legislaturperiode hinbekämen. Ich richte die dringende Aufforderung an die Bundesregierung, an das Bundesministerium für Arbeit und Soziales, etwas vorzulegen, damit wir die revidierte Europäische Sozialcharta endlich ratifizieren können.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Vizepräsidentin Ulla Schmidt:

Vielen Dank. - Die Debatte schließt jetzt Katrin Albsteiger, CDU/CSU-Fraktion, ab. Bitte schön.

(Beifall bei der CDU/CSU)

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