Rede | 17.12.2015

Stromsperren: Ökologische und soziale Frage zusammen denken

Die Rede von Wolfgang Strengmann-Kuhn, dem Sprecher für Sozialpolitik der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen, im Bundestag am 17.12.2015 zum Antrag der Fraktion Die LINKE "Stromsperren gesetzlich verbieten"

Wolfgang Strengmann-Kuhn:

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Koeppen, lassen Sie sich von der Diakonie, von der Caritas und von den Menschen, die hier in Deutschland mit Armut zu tun haben, ein bisschen Nachhilfe beim Thema Armut geben.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)

Ihre Argumentation war wirklich unterirdisch und hat mit christlichen Werten überhaupt nichts, aber auch gar nichts mehr zu tun. Wenn es nach Ihnen ginge, dann dürfte es Stromsperren in Deutschland eigentlich gar nicht geben, weil nicht sein kann, was nicht sein darf. Es gibt aber über 350 000 Stromsperren, und es gibt zusätzlich - das darf man nicht vergessen - auch noch fast 50 000 Gassperren. Das ist für dieses reiche Land ein Armutszeugnis. Das müssen wir ändern.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)

Man muss vor allen Dingen an die Ursachen rangehen. Eine wesentliche Ursache ist, dass die Hartz-IV-Regelsätze zu niedrig sind. Die Hartz-IV-Regelsätze müssen angehoben werden, damit sie existenzsichernd sind

(Jens Koeppen (CDU/CSU): Immer rauf! Na klar!)

und damit die Menschen Preisschwankungen in einzelnen Gütergruppen durch Einsparungen an anderer Stelle ausgleichen können. So, wie Sie die Regelsätze berechnet haben, ist das nicht möglich. Das müssen wir bei der nächsten Regelsatzberechnung korrigieren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Halina Wawzyniak (DIE LINKE))

Just heute gab es eine Pressemeldung - wir Sozialpolitiker wurden schon letzte Woche darüber informiert -, dass die Caritas eine Studie zu Stromkosten von Menschen mit geringen Einkommen beim Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung in Auftrag gegeben hat. In der Studie wurde nachgewiesen, dass die Stromkosten von Menschen mit geringem Einkommen deutlich höher sind als die im Regelsatz vorgesehenen Stromkosten. Das heißt, an der Stelle brauchen wir eine Änderung. Eine Ursache dafür, dass die Menschen mit geringeren Einkommen höhere Kosten haben als jene mit höheren Einkommen, die sogenannte Referenzgruppe bei der Regelsatzberechnung, ist, dass sie sich eben nicht die stromsparenden Geräte leisten können. Es gibt auch noch viele andere Gründe. Das heißt, wir müssen die Stromkosten für die Hartz-IV-Bezieher anders berechnen als bisher. Wir müssen bei der nächsten Regelsatzberechnung die notwendige Korrektur durchführen, die uns übrigens auch das Bundesverfassungsgericht ins Stammbuch geschrieben hat. Das sollten wir dann auch tun.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)

Die Thematik beinhaltet zwei Aspekte, die man zusammendenken muss. Es gibt den ökologischen Aspekt auf der einen Seite - wir müssen nämlich auch dafür sorgen, dass die Menschen weniger Strom und Energie verbrauchen -, und es gibt auf der anderen Seite den sozialen Aspekt; das heißt, wir müssen dafür sorgen, dass die Menschen die Stromkosten bzw. die Energiekosten auch bezahlen können. Dazu möchte ich zwei Vorschläge zur Diskussion stellen.

Mein erster Vorschlag ist, die Stromkosten bei der Regelsatzberechnung herauszunehmen, getrennt zu berechnen - ich habe eben schon begründet, warum das sinnvoll sein kann - und dann die Pauschale für die Stromkosten jährlich anzupassen. Das würde zu mehr Transparenz für die Betroffenen und auch für die Jobcenter führen. Man könnte für diejenigen Menschen, die höhere Stromkosten haben, zielgenaue Beratungen durchführen, damit sie ihre Kosten senken. Für diejenigen, die tatsächlich Stromkosten einsparen, ergäbe sich ein positiver Effekt. Das wäre tatsächlich ein Anreiz zum Stromsparen. Das wäre eine zielgenaue Möglichkeit, die Stromkosten für Menschen im SGB-II-Bezug zu reduzieren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Mein zweiter Vorschlag - weil es nicht nur um Menschen im Hartz-IV-Bezug geht, sondern um Menschen, die vielleicht keine Sozialleistungen beziehen, aber deren Einkommen gering ist -: Vor dem Hintergrund der Ergebnisse des Klimagipfels von Paris müssen wir den CO2-Ausstoß reduzieren. Wir müssen dafür sorgen, dass unsere Energiepreise endlich die Wahrheit sagen. Deswegen müssen wir den CO2-Ausstoß verteuern, zum Beispiel durch Verbesserungen beim Emissionshandel oder durch eine CO2-Steuer. Das wird die Preise für fossile Energien erhöhen, was insbesondere für Menschen mit geringem Einkommen ein Problem sein kann, weil sie möglicherweise nicht so schnell wie wir, die wir ein höheres Einkommen haben, auf energiesparende Möglichkeiten zurückgreifen können.

Es wäre eine Idee, dass man die Einnahmen, die man durch solche Maßnahmen zusätzlich erzielt, der Bevölkerung zurückgibt, dass man umverteilt. Das wäre eine Möglichkeit, um dafür zu sorgen, dass Menschen mit geringen und mittleren Einkommen die kurzfristig höheren Preise für Energie stemmen können. Wenn wir auf erneuerbare Energien umsteuern, werden die Preise langfristig wieder sinken; kurzfristig müsste es aber eine finanzielle Unterstützung geben. Das wäre eine Möglichkeit, um ökologische und soziale Probleme gleichzeitig zu lösen. Das wäre eine Antwort auf die ökologische und die soziale Frage.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Da meine Redezeit jetzt tatsächlich abgelaufen ist, sage ich nur noch kurz: Wir brauchen viel mehr Ideen, wie wir diese Fragen beantworten können. Aus unserer Sicht reicht es nicht aus, nur an den Symptomen zu kratzen, was die Linke mit ihrem Antrag tut. Deswegen werden wir dem Antrag nicht zustimmen, sondern uns enthalten. Das Problem ist relevant, aber wir müssen an die Ursachen ran, gleichzeitig an die ökologischen und die sozialen Probleme.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)