Es ist notwendiger denn je, einen starken Beitrag für ein sozialeres Europa zu leisten!
Beratung des Antrags der Abgeordneten Andrej Hunko, Azize Tank, Katja Kipping, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE:
50 Jahre Europäische Sozialcharta – Deutschlands Verpflichtungen einhalten und die Sozialcharta weiterentwickeln Drucksache 18/4092
Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Kollege Pätzold, Sie haben deutlich gemacht, was für eine Bedeutung die Europäische Sozialcharta hat. Mir ist aber nicht ganz klar geworden, warum die revidierte Sozialcharta, obwohl Deutschland sie unterschrieben hat, immer noch nicht zur Ratifizierung vorgelegt worden ist. Die beiden Punkte, die Sie genannt haben, müssen auch damals schon diskutiert worden sein. Warum es jetzt noch eine lange Diskussion mit Verbänden geben soll, aber nicht mit dem Bundestag zum Beispiel, leuchtet mir überhaupt nicht ein. Ich denke, das sollte schneller gehen. Legen Sie das endlich vor, damit das hier tatsächlich ratifiziert werden kann!
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)
Es ist nicht das einzige Beispiel, bei dem die Bundesregierung bremst, wenn es um die Ratifizierung von internationalen Abkommen geht. Wir haben das Beispiel des Fakultativprotokolls zum UN-Sozialpakt, bei dem es ähnliche Verzögerungen gibt. Insofern finde ich, dass Deutschland seiner internationalen Verantwortung stärker gerecht werden muss und nicht warten kann, bis 33 andere Länder die Sozialcharta ratifiziert haben.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)
Außerdem ist es natürlich wichtig, dass auch die Berichte des Europäischen Ausschusses für Soziale Rechte ernst genommen werden, wenn wir die Sozialcharta unterschrieben haben. Das hat der Kollege Hunko schon erwähnt. Da gibt es in den verschiedenen Berichten diverse Kritik an der Politik der Bundesrepublik Deutschland, von den Sanktionen bei Hartz IV angefangen bis hin zur Diskriminierung von Frauen beim Einkommen. Ich glaube, dass das Punkte sind, die man einmal deutlicher öffentlich diskutieren sollte und zu denen die Bundesregierung und der Bundestag auch Stellung nehmen sollten.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Es ist gesagt worden: 47 Mitgliedstaaten. Es ist vielleicht wichtig, noch einmal zu betonen: Es geht hier nicht um die Europäische Union, sondern um den Europarat. Es ist vielleicht gerade in diesen Zeiten noch einmal zu betonen, dass Europa weitaus mehr ist als die Europäische Union. Aber auch innerhalb der Europäischen Union wird diese Regierung ihrer Verantwortung nicht gerecht. Das ist beim EU-2020-Prozess der Fall, wo es auf europäischer Ebene das Ziel der Armutsreduktion gibt. Wir finden gut, dass es ein quantifiziertes Ziel gibt. Die letzte Bundesregierung hat gesagt: Wir akzeptieren das Kriterium nicht. Wir denken uns ein neues Kriterium aus. – Die jetzige Bundesregierung bleibt dabei. Das ist keine Art und Weise, miteinander vernünftig in der Europäischen Union umzugehen. Wenn man gemeinsame Ziele und gemeinsame Kriterien hatte, sollte man sich auch an diese gemeinsamen Kriterien halten.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Auch bei der EU-Krisenpolitik ist die deutsche Bundesregierung ihrer sozialen Verantwortung nicht gerecht geworden. Die Krisenpolitik hatte eine klare soziale Schieflage. Dies ist besonders deutlich in Griechenland zu erkennen, aber nicht nur dort. Es ist nicht gelungen, die Reformen so auszugestalten, dass sie Armut bekämpfen, dass sie sozial ausgewogen sind. In Griechenland gibt es mit der neuen Regierung vielleicht eine Chance, dass sich das etwas ändert. Die Liste der Maßnahmen, die vorgelegt worden ist, ist für uns ermutigend. Ob sie umgesetzt wird, ist natürlich die Frage. Aber als Ziel steht dort, dass eine nationale Grundsicherung eingeführt werden soll, dass die Reicheren mehr Steuern zahlen sollen, dass eine Verwaltung aufgebaut werden soll, um die Vermögen zu erfassen. Hier gibt es tatsächlich eine Chance. Es ist auch gut, dass es von der Euro-Gruppe und den drei Institutionen tatsächlich auch gewürdigt worden ist. Nichtsdestotrotz tut diese Bundesregierung immer noch zu wenig für ein soziales Europa. Ich könnte noch viele Beispiele nennen: die Vertiefung der sozialen Dimension der Wirtschafts- und Währungsunion, der fehlende Einsatz für eine Mindesteinkommensrichtlinie.
Insgesamt appelliere ich an die Bundesregierung: Nehmen Sie Ihre Verantwortung endlich wahr, sorgen Sie dafür, dass die genannten Abkommen und Protokolle endlich ratifiziert werden, und leisten Sie einen stärkeren Beitrag für ein soziales Europa, denn das ist notwendiger denn je!
Vielen Dank.
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 88. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Februar 2015