Rede | 25.06.2014

Rede zum Haushalt 2014: Für eine Sozialpolitik, die niemanden ausgrenzt!

Die große Koalition ist weitgehend blind für die nötigsten sozialpolitischen Probleme. Sie setzt die falschen Prioritäten und macht eine Sozialpolitik, die an den ärmsten Menschen vorbeigeht. Wir brauchen stattdessen eine Sozialpolitik, die niemanden ausgrenzt, sondern selbstbestimmte soziale Teilhabe für Alle schafft.

Protokoll der Rede:

Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Ministerin, wenn man Ihre Rede so hört, stellt man fest, dass Sie eigentlich weitgehend blind gegenüber den wichtigsten sozialpolitischen Problemen in Deutschland sind – wie es die Sozialpolitik der Großen Koalition insgesamt ist.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Matthias W. Birkwald (DIE LINKE))

Wir beobachten in den letzten 15 bis 20 Jahren einen massiven, dramatischen Anstieg der Armut in Deutschland – das ist ein Begriff, der weder im Koalitionsvertrag noch in Ihrer Rede auftaucht -, und das hat sich durch die gute wirtschaftliche Lage in den letzten Jahren kein bisschen gebessert. Wir haben in Deutschland über 7 Millionen Menschen – über 7 Millionen! -, die Grundsicherungsleistungen beziehen; das sind 9 Prozent der Bevölkerung. Wenn man dazu noch diejenigen zählt, die verdeckt arm sind, also einen Anspruch hätten, den aber nicht geltend machen, ist man bei einer Zahl von mindestens 10 Millionen Menschen – vielleicht sind es sogar noch mehr -, die auf Grundsicherungsniveau leben – „Hartz-IV-Niveau“, vereinfacht gesagt – oder sogar darunter. Über 10 Millionen Menschen! Zu diesen Menschen haben Sie kein Wort gesagt, und dazu hat diese Bundesregierung kein Konzept.

(Jörn Wunderlich (DIE LINKE): Traurig genug!)

Am deutlichsten wird diese Politik der Bundesregierung, die meines Erachtens weniger zusammenführt als vielmehr spaltet, bei der Rente. Wenn man sich anguckt, wer alles nicht davon profitiert, dann wird deutlich, wie diese Politik der Großen Koalition funktioniert.

Von der Rente mit 63 profitieren alle diejenigen nicht, die weniger als 45 Versicherungsjahre haben. Das sind nicht die Stärksten im Land, sondern das sind eher die Schwächsten. Diejenigen, die erwerbsgemindert sind und wegen Erwerbsminderung in Rente müssen, müssen Abschläge in Kauf nehmen – im Gegensatz zu denen, die 45 Versicherungsjahre haben.

Wer Witwenrente bezieht, bekommt die Mütterrente teilweise angerechnet, profitiert also nur teilweise davon.

Von keiner Ihrer schönen Maßnahmen profitieren alle diejenigen, die in der Grundsicherung im Alter sind oder in der Zukunft in die Grundsicherung im Alter kommen werden.

(Dr. Matthias Zimmer (CDU/CSU): Was nachrangig ist! – Bettina Hagedorn (SPD): Das ist logisch!)

Wir haben jetzt schon einen massiven Anstieg der Altersarmut in Deutschland. Die Grundsicherungszahlen steigen. Die Armutsziffern steigen auch. Das ist eines der größten Zukunftsprobleme, und da machen Sie nichts. Das ist völlig fatal.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Ich nenne so etwas eine exklusive Sozialpolitik, „exklusiv“ im wahrsten Sinne des Wortes. Es ist nämlich eine ausgrenzende Sozialpolitik für einige wenige, die im System drin sind, denen es halbwegs gutgeht – auch nicht richtig gut, aber halbwegs gut -, während diejenigen, denen es am schlechtesten geht, nicht profitieren. Noch viel schlimmer: Die müssen das Ganze auch noch bezahlen: durch höhere Beiträge, durch geringere Renten.

Das muss erst einmal jemand hinkriegen: ein Rentenpaket mit einem Umfang von 10 Milliarden Euro jährlich zu machen, wobei am Ende die Beiträge steigen, die Renten sinken und nichts gegen Armut passiert. Diese gesamte Rentenreform ist ein absolutes Fehlergebnis.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der SPD)

Statt so einer exklusiven Sozialpolitik brauchen wir eine andere Politik, nämlich eine, die darauf aus ist, nicht auszugrenzen, Ausgrenzung in der Gesellschaft möglichst zu verhindern und selbstbestimmte Teilhabe für alle tatsächlich zu ermöglichen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dafür muss man ganz andere Prioritäten setzen, als Sie das tun:

Erstens. Bei der Rente muss man mit einer Garantierente anfangen. Dazu haben wir einen Änderungsantrag zum Haushalt gestellt. Er zeigt, wie wir den Einstieg in die Garantierente hinbekommen.

Zweitens. Beim Arbeitsmarkt muss man bei denjenigen anfangen, die am schwierigsten in den Arbeitsmarkt zu vermitteln sind. Der Kollege Ernst hat es schon gesagt: Die Arbeitsmarktentwicklung ist insgesamt betrachtet durchaus positiv, sie geht aber an den Langzeitarbeitslosen vorbei; die Langzeitarbeitslosigkeit sinkt nur ganz schwach. Der Teil derjenigen, die tatsächlich dauerhaft in der Langzeitarbeitslosigkeit sind, stellt ein besonderes Problem dar. Ich freue mich, dass Sie das auch so sehen, Frau Nahles.

Dazu haben wir einen Vorschlag gemacht, nämlich den Vorschlag zur Einrichtung eines Sozialen Arbeitsmarktes. Ich finde, das muss ein Schwerpunkt sein und Priorität haben. Wenn wir das in der nächsten Zeit zusammen hinkriegen, ist das sehr positiv. Es ist ein grüner Erfolg, wenn wir Sie dazu bekommen, dass Sie beim Sozialen Arbeitsmarkt – ich gucke insbesondere die CDU/CSU-Kolleginnen und ‑Kollegen an – mitmachen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Der dritte Punkt betrifft die Grundsicherung. Auch dieser Themenbereich ist von Ihnen überhaupt nicht angesprochen worden, obwohl 7 Millionen Menschen Grundsicherungsleistungen beziehen. Wir sagen, dass das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Berechnung der Regelsätze nach wie vor nicht vollständig umgesetzt ist. Wir müssten den Regelsatz auf mindestens 420 Euro erhöhen. Im nächsten Jahr werden wir eine Debatte zur Neuberechnung haben, aber die Erhöhung auf 420 Euro muss sofort erfolgen. Auch dazu haben wir einen Antrag gestellt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Aber es hilft natürlich nicht, einfach nur den Regelsatz zu erhöhen. Das ist eine notwendige Maßnahme. Wir müssen vielmehr dazu kommen, dass Menschen gar nicht erst in die Grundsicherung fallen, damit die Zahl nicht noch weiter steigt. Ich muss zugeben, dass der Mindestlohn hierauf durchaus eine Wirkung haben wird. Aber auch vom Mindestlohn wird eine schwache Gruppe, nämlich die Langzeitarbeitslosen, wieder ausgenommen. Das ist ein Unding. Denjenigen, denen es gut geht, geben Sie etwas. Denjenigen, denen es schlecht geht, geben Sie an der Stelle nichts.

(Matthias W. Birkwald (DIE LINKE): Unsoziale Politik!)

Auf Unternehmensseite profitieren davon Unternehmen, die nicht nach Tarif bezahlen ‑ die anderen können ja gar nicht weniger an Langzeitarbeitslose zahlen ‑, die quasi noch subventioniert sind. Gleichzeitig geht es zulasten der Langzeitarbeitslosen. Das ist eine Politik, die alles andere als sozial ist.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Jörn Wunderlich (DIE LINKE): Na wunderbar!)

Das Problem der Armut trotz Erwerbstätigkeit wird durch den Mindestlohn nur zum Teil behoben. Wir brauchen auch Maßnahmen zur besseren Absicherung für Teilzeiterwerbstätige und Selbstständige. Das ist auch eine große und wichtige Baustelle, an die wir noch herangehen müssen. Wie gesagt: Wir brauchen insgesamt eine Politik, die nicht exklusiv ist, sondern wir brauchen eine inklusive Sozialpolitik, mit der wir tatsächlich selbstbestimmte Teilhabe für alle schaffen, wovon alle profitieren und nicht nur ausgewählte Gruppen.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)