Protokoll:
Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Kollegin Eckenbach, ich bitte doch um ein bisschen mehr Respekt gegenüber dem Bundesverfassungsgericht.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)
Sie haben eben schon wieder ‑ Kollegin Jelpke hat auf den Satz im Urteil des Bundesverfassungsgerichts hingewiesen ‑ versucht, einen Zusammenhang zwischen der Leistung im Asylbewerberleistungsgesetz und der Zahl der Menschen, die hierhin kommen, herzustellen. Man kann darüber streiten. Meines Erachtens ist das, was in der Anhörung genannt worden ist, methodisch angreifbar. Aber selbst wenn es so wäre: Das Bundesverfassungsgericht hat eindeutig gesagt, dass migrationspolitische Argumente bei der Menschenwürde keine Rolle spielen dürfen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)
Das heißt, diese Argumente dürfen hier im Bundestag in der Debatte, die wir führen, überhaupt nicht verwendet werden. Sie haben es aber in der Ausschussanhörung getan. Herr Kollege Stracke, das gehört sich nicht. Es geht hier um die Verfassung, die Menschenwürde und um ein Urteil des Bundesverfassungsgerichtes. Bitte unterlassen Sie das.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Max Straubinger (CDU/CSU): Aber auch nicht der offensichtliche Missbrauch des Asylrechts!)
- Stellen Sie eine Zwischenfrage, Herr Straubinger, wenn Sie darüber etwas mehr erfahren wollen.
Ich finde es grundsätzlich problematisch, dass wir hier häufig Gesetzentwürfe besprechen, die an der Grenze der Verfassungsmäßigkeit sind, und wir auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts warten müssen, ob sie verfassungsgemäß sind oder nicht. Bei dem Gesetzentwurf der Bundesregierung ist das schon wieder so. Ich bin kein Jurist, aber meines Erachtens ist dieser Entwurf gerade eben noch verfassungsgemäß. Aber wir haben in der Ausschussanhörung diverse Argumente von den Expertinnen und Experten gehört, die aufzeigten, wo es verfassungsrechtliche Probleme gibt. Ich habe dazu in der Ausschusssitzung etwas länger Stellung genommen und die Punkte noch einmal erwähnt. Hier habe ich nicht die Zeit dazu, weil ich dann meine Redezeit um ein Vielfaches überschreiten würde. Ich fände es schön, wenn wir mehr Gesetze verabschieden würden, bei denen von vornherein klar ist, dass sie der Verfassung entsprechen.
(Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (SPD): Wir machen es!)
Ein weiterer wichtiger Punkt. Wir finden es wichtig, dass es endlich eine einheitliche Grundsicherung gibt und keine Dreiklassengrundsicherung, wie wir sie derzeit vorfinden.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)
Anknüpfend an die letzte Debatte sage ich: Unionsbürger, die zu uns kommen, verlieren irgendwann ihren Anspruch auf Grundsicherung, ein Teil ist davon ausgeschlossen. Asylbewerber erhalten zwar eine Leistung, aber sie liegt unterhalb der Leistung, die andere Menschen in diesem Lande erhalten.
(Daniela Kolbe (SPD): Aber nur geringfügig!)
Das ist aus unserer Sicht nicht hinnehmbar. Wir wollen da eine Vereinfachung.
Ihre Vorlage offenbart das Menschenbild der Großen Koalition: Es gibt die guten Menschen, die hier länger leben, und es gibt die schlechten Menschen; das sind diejenigen, die aus der EU oder von weiter weg zu uns kommen.
(Kerstin Griese (SPD): Das ist doch Unsinn! – Weiterer Zuruf von der SPD: Sie wissen genau, dass das nicht stimmt!)
Wir finden: Alle Menschen müssen und sollten gleich behandelt werden.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)
Ich komme ganz kurz auf ein paar wichtige Probleme zu sprechen. Es wird hier behauptet, die Urteile des Bundesverfassungsgerichts zum Existenzminimum würden hier eins zu eins umgesetzt. Das Existenzminimum ist ein Grundrecht nach Artikel 1 Grundgesetz: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Es umfasst ein physisches Existenzminimum und ein gewisses Maß an sozialer Teilhabe. Und dann gibt es § 1 a Asylbewerberleistungsgesetz, den Frau Jelpke als Strafregime bezeichnet hat. Unabhängig davon, wie man es bezeichnet,
(Kordula Kovac (CDU/CSU): Aber nicht als „Strafregime“!)
besagt § 1 a, dass Leistungskürzungen möglich sind. Es ist überhaupt nicht festgelegt, in welcher Größenordnung sie erfolgen können. Das ist auch in der Ausschussanhörung kritisiert worden. Diese Leistungskürzungen können auch dauerhaft vorgenommen werden. Leistungskürzungen, die dauerhaft eine Senkung unter das Existenzminimum bewirken, widersprechen eigentlich ganz eindeutig dem Grundrecht auf eine existenzsichernde Leistung.
Im Asylbewerberleistungsgesetz sind, anders als im SGB II und im SGB XII, keine Mehrbedarfe, zum Beispiel für Alleinerziehende und Schwangere, vorgesehen. Das ist schon ein Problem. Die Regelleistung selber ist 10 Prozent niedriger als die Leistung für Menschen, die Arbeitslosengeld II oder die Grundsicherung im Alter beziehen. Begründet wird dies damit, dass bestimmte Leistungen als Sachleistungen bereitgestellt werden, zum Beispiel Hausrat und Gesundheitsleistungen.
Teilweise ist es ziemlich absurd, was in der Begründung steht. Zum Beispiel wird ein Teil dieser Differenz damit begründet, dass Asylbewerber keine Praxisgebühr zahlen müssen.
(Matthias W. Birkwald (DIE LINKE): Die gibt’s doch gar nicht mehr!)
- Richtig. – Wie auch Sie von der Koalition wissen sollten, gibt es die Praxisgebühr gar nicht mehr. Das macht zwar nur 2,64 Euro der Differenz zwischen SGB-II-Leistungen und den Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, wie Sie es vorgelegt haben, aus; aber es zeigt, wie Sie an dieses Gesetz herangegangen sind, nämlich korinthenkackerisch, sehr kleinlich, nicht wirklich fundiert und auch nicht transparent. Offensichtlich ist es Ihnen nicht einmal aufgefallen, dass es die Ausgaben für die Praxisgebühr herausgerechnet wurde. Deswegen gibt es keinen Grund, Asylbewerbern 2,64 Euro weniger zu geben als anderen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Daniela Kolbe (SPD): Sollen wir die Hartz-IV-Leistungen jetzt deswegen senken? Das ist lächerlich!)
Für uns ist wichtig, die Selbstbestimmung und Freiheit der Menschen zu stärken. An der Stelle sind die Sachleistungen ein Riesenproblem. Auch Asylbewerberinnen und Asylbewerber sollten eine Geldleistung kriegen, mit der sie selbstbestimmt entscheiden können, wie sie ihr Leben gestalten. Die Ausschussanhörung hat deutlich gemacht, dass das Existenzminimum auch an dieser Stelle nicht unbedingt gesichert ist,
(Daniela Kolbe (SPD): Aber das ändern wir doch!)
weil die Sachleistungen möglicherweise nicht existenzsichernd sind; das ist schwer zu kontrollieren. Auch an der Stelle wären Geldleistungen sehr viel sinnvoller als Sachleistungen.
Vizepräsident Johannes Singhammer:
Herr Kollege Strengmann-Kuhn, Sie denken an die vereinbarte Redezeit?
Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Gut. Dann komme ich zum Schluss. – Leider kann ich zum Punkt Gesundheit nicht mehr viel sagen; aber er ist schon genannt worden. Auch beim Thema Gesundheit gibt es ein zentrales Problem; auch hier ist das physische Existenzminimum gefährdet. Ich wünsche der Kollegin Kolbe viel Glück dabei, an der Stelle Veränderungen zu erreichen. Es gibt da auch einen Beschluss des Bundesrates, der einen Weg aufzeigt. Ich finde, das Gesetz, wie es jetzt vorliegt, ist nicht christlich; Sie sollten vielleicht einmal über den Begriff „christlich“ in Ihren Parteinamen nachdenken.
(Widerspruch bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Wir haben einen Gesetzentwurf vorgelegt, der die Abschaffung des Asylbewerberleistungsgesetzes vorsieht und eine Gleichstellung schafft. Er ist im Bundesrat von allen Ländern unterstützt worden, in denen Grüne und SPD zusammen regieren.
Vizepräsident Johannes Singhammer:
Herr Kollege, der letzte Satz war schon längere Zeit angekündigt. Er muss jetzt auch erfolgen.
Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Ja. – Deswegen bitten wir Sie: Stimmen Sie unserem Gesetzentwurf zu. Denn nur so kriegen wir wirklich ein Gesetz, das der Verfassung entspricht, Bürokratie abbaut und die entwürdigende Diskriminierung von Asylbewerberinnen und Asylbewerbern tatsächlich abschafft.
Vielen Dank.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)