Persönliche Erklärung | 15.10.2015

Persönliche Erklärung zur Abstimmung zum Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz

Der vorliegende Gesetzentwurf enthält notwendige finanzielle Zusagen des Bundes, der sich künftig dauerhaft, strukturell und dynamisch an den Kosten der Flüchtlingsaufnahme beteiligt und darüber hinaus weitere finanzielle Mittel zur Verfügung stellt. Vernünftig ist auch, dass der Bau von Unterkünften für Flüchtlinge durch Änderung der baurechtlichen Standards flexibilisiert wird, auch wenn sich diese Standardsenkung nicht verstetigen und auf andere Bereiche ausgeweitet werden darf. Wir erkennen auch an, dass Staatsangehörige der Westbalkanstaaten, wenn auch unter engen Voraussetzungen einen Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt erhalten können, was mit seinen Einschränkungen jedoch alles andere als ein Einstieg in ein Einwanderungsgesetz ist, sondern eine geringfügige, allenfalls symbolische Teilliberalisierung des bestehenden Systems, die zudem nur bis 2020 befristet ist.

Trotz dieser positiven Aspekte können wir dem Gesetzespaket nicht zustimmen. Schon der Titel ist eine Mogelpackung. Das Gesetz enthält zahlreiche Abschreckungs- und Ausgrenzungsvorschriften, aber nicht eine einzige Maßnahme, die geeignet wäre, Asylverfahren tatsächlich zu beschleunigen. Die Koalition hat sich geweigert, eine Regelung zu pauschalen Anerkennung von Flüchtlingen aus Syrien, Eritrea, Irak und Somalia vorzuschlagen. Sie hat keine Altfallregelung für langandauernde Verfahren entworfen. Und sie hat die Forderung nach einer Aufhebung der obligatorischen Widerrufsprüfung gemäß § 73 Absatz 2a AsylVfG zurückgewiesen.

Statt tragfähige Lösungen vorzuschlagen werden immer wieder von Regierungsmitgliedern oder von Mitgliedern der sie tragenden Parteien, vor allem von der CSU, populistische und völlig abstruse Debatten vom Zaun gebrochen, die von den wirklichen Problemen ablenken und dazu führen können, dass die gelebte Solidarität der Bevölkerung untergraben wird und Verbrecher, die Unterkünfte für Geflüchtete in Brand stecken, sich bestärkt fühlen. Diesen Geist atmet zum Teil auch das Asylverfahrensvereinfachungsgesetz. Das sehen wir mit großer Sorge.

Die mit dem Gesetz eingeführte Drei-Klassen-Unterteilung von AsylbewerberInnen Flüchtlinge aus so genannten sicheren Herkunftsstaaten, solchen mit „guter Bleibeperspektive“ und dem Rest, lehnen wir ab. Schikanen wie zusätzliche Leistungskürzungen und eine Umwandung der Geldleistungen für den persönlichen Bedarf in Sachleistungen sind nicht nur humanitär, menschenrechtlich und sozialpolitisch unvertretbar, sie wirken in der gegenwärtigen Situation auch als geistiger Brandsatz und überfrachten, statt entlasten, die Aufnahmeeinrichtungen mit Bürokratie.

Schon die bestehenden Leistungseinschränkungen für Geflüchtete im Asylbewerberleistungsgesetz und bei den Gesundheitsleistungen sind für uns in keiner Weise akzeptabel. Und gehören abgeschafft. Alle Menschen, die hier leben, haben in unseren Augen ein Anrecht auf die gleichen Leistungen. Leistungseinschränkungen und -ausschlüsse, sei es bei der Grundsicherung oder bei den Gesundheitsleistungen, fördern nur die Entstehung von Elendsquartieren, ausbeuterischer Schwarzarbeit und sie produzieren, gerade im Gesundheitsbereich Folgekosten, die sehr teuer werden können.

Zudem sind wir der Überzeugung, dass die Leistungseinschränkungen verfassungsrechtlich mehr als fragwürdig sind. Darin haben uns auch die Stellungnahme der evangelischen und katholischen Kirche und weiterer Sachverständiger in der Anhörung zu dem vorliegenden Gesetz bestärkt. So sollen mit den Leistungskürzungen und der Umwandlung von Geld- in Sachleistungen laut dem Gesetzentwurf „Fehlanreize“ beseitigt werden. Dies sind in unserer Augen migrationspolitische Erwägungen, die vom Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil zum Asylbewerberleistungsgesetz vom 15.08.2012 als möglicher Grund für Leistungseinschränkungen ausgeschlossen wurden (Randnummer 121).

Wir sind auch der Auffassung, dass jegliche Leistungskürzungen unter das Niveau des soziokulturellen Existenzminimums und damit folglich erst recht Leistungen, die nicht einmal das physische Existenzminimum absichern, sondern nur Leistungen für Ernährung, Unterkunft (incl. Heizung), sowie Körper- und Gesundheitspflege enthalten, verfassungsrechtlich nicht zu halten sind. Und humanitär sowieso nicht. Das Bundesverfassungsgericht hat zwar in dem oben genannten Urteil bei einem „nur kurzen“ Aufenthalt einen „möglicherweise spezifisch niedrige(ren) Bedarf“ (Randnummer 119) als bei längerfristig Aufenthaltsberechtigten nicht in jedem Fall ausgeschlossen, jedoch würde das Gericht nach unserer Kenntnis empirische Belege für den niedrigeren Bedarf verlangen. Zudem eröffnet der Gesetzentwurf auch de facto Leistungskürzungen bei mehr als nur kurzen Aufenthalten, schon allein, weil die Leistungskürzungen bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen immer wieder verlängert werden sollen.

Das gleiche gilt für die Möglichkeit der Erbringung der Leistungen zur sozialen und kulturellen Teilhabe in Form von Sachleistungen oder Wertgutscheinen statt finanzieller Leistungen. Sachleistungen und Wertgutscheine verhindern gerade, dass individuell unterschiedlich hohe existenzielle Bedarfe von den Leistungsbeziehenden im Rahmen einer pauschalierten Leistung ausgeglichen werden können. Deshalb gehen wir auch hier weder von verfassungsrechtlich haltbaren noch humanitär hinnehmbaren Leistungsunterdeckungen unter das soziokulturelle Existenzminimum aus. Völlig abstrus erscheint uns auch, dass in Folge der Änderungsanträge nun zwar die Möglichkeit der Erbringung von Sachleistungen in Aufnahmeeinrichtungen daran geknüpft wird, dass nur ein vertretbarer Verwaltungsaufwand vorliegt, eine solche Prüfung jedoch in Gemeinschaftsunterkünften nicht notwendig ist.

Die gesundheitliche Versorgung von Flüchtlingen bleibt rechtlich weiterhin auf die dringend erforderliche und nicht aufschiebbare  Behandlung bei akuter Erkrankung beschränkt. Das widerspricht nicht nur dem humanitären Gebot auf eine angemessene gesundheitliche Versorgung, es führt häufig auch zu einer Chronifizierung und nachfolgenden bedeutend aufwändigeren Behandlungen und wie Studien zeigen, zu höheren Kosten. Geflüchtete bleiben somit Patienten dritter Klasse, die sich mit einer Notversorgung zu begnügen haben. Die Option in den Bundesländern mit den Krankenkassen eine Gesundheitskarte für Flüchtlinge zu vereinbaren, wurde rechtlich nicht entsprechend den Vereinbarungen mit den Ministerpräsidenten geregelt. Es ist weder eindeutig absehbar ob die bestehenden Vereinbarungen zur Gesundheitskarte für Flüchtlinge in Bremen, Hamburg und NRW Bestand haben, die in weiten Teilen eine Versorgung vorsieht, die der gesetzlich Versicherter entspricht. Es bleibt auch unklar, ob vergleichbare Rahmenvereinbarungen in den anderen Bundesländern in Zukunft möglich sind. Darüber hinaus soll auf der Karte vermerkt werden, dass es sich um einen Flüchtling handelt. Das ist diskriminierend und verlagert eine hochproblematische Entscheidung über eine eingeschränkte Behandlung in die Arztpraxis. Hinzu kommt, dass ein Flickenteppich von Regelungen entstehen wird, der für die Flüchtlinge bei einem Ortswechsel problematisch und für die Krankenkassen aufwändig ist. Notwendig wäre bundeseinheitlich die Einbeziehung der Geflüchteten in die gesetzliche Krankenversicherung wie dies für Flüchtlinge ab 15 Monaten bereits heute gilt. Die Kosten sollten durch den Bund getragen werden. 

In die Liste sogenannter sicherer Herkunftsstaaten werden nun auch Albanien, Kosovo und Montenegro aufgenommen. Die Bestimmung von Bosnien-Herzegowina, Mazedonien, Serbien, Senegal und Ghana zu sicheren Herkunftsstaaten wird bestätigt, obwohl Roma, LGBTTI* und Journalist*innen in den Staaten des Westbalkans weiterhin Verfolgung droht und einvernehmliche gleichgeschlechtliche Handlungen unter Erwachsenen im Senegal und Ghana immer noch unter Strafe stehen. Auch die allgemeine Sicherheitslage in den Westbalkanstaaten gibt weiterhin Anlass zur Sorge. Der Bundestag hat erst im Sommer 2015 den KFOR-Einsatz der Bundeswehr im Kosovo verlängert, weil das Land noch immer instabil ist.

Für die Geflüchteten aus diesen Staaten ist dieses Gesetz ein schwerer Angriff auf das Prinzip der Einzelfallprüfung, einem Grundpfeiler des Asylrechts. Die Anträge der Geflüchteten werden zwar formal noch einzeln geprüft, doch drängt sich eine ablehnende Entscheidung faktisch auf. Das Bundesverfassungsgericht hat in diesem Zusammenhang unmissverständlich festgestellt, dass ein Staat nicht zum sicheren Herkunftsstaat bestimmt werden kann, solange dort auch nur Angehörige einer einzigen Gruppe verfolgt werden (2 BvR 1507 und 1508/93). Der UNHCR, die EKD und die Deutsche Bischofskonferenz haben in ihren Stellungnahmen insoweit die Missachtung der Vorgaben der Richtlinie 2013/32/EU (Verfahrensrichtlinie) gerügt.

Neben den bisherigen Beschränkungen der Rechtsschutzmöglichkeiten für Flüchtlinge aus sogenannten sicheren Herkunftsstaaten treten nun weitere massive Einschränkungen ihrer sozialen und wirtschaftlichen Rechte: Sie werden dauerhaft und unbegrenzt verpflichtet, in den Erstaufnahmeeinrichtungen zu verbleiben. Mit der daraus folgenden Ausweitung der Residenzpflicht, des absoluten Arbeitsverbotes und der Sachleistungsprinzips werden flüchtlingspolitische Erfolge des letzten Jahres zurückgedreht. In mehreren Bundesländern dürfte für Kinder und Jugendliche in diesen Einrichtungen die Schulpflicht entfallen.

Wir halten auch die Verpflichtung zum Verbleib in den Erstaufnahmeeinrichtungen bis zu 6 Monaten integrations- und flüchtlingspolitisch für kontraproduktiv. Der Druck der Kommunen auf die Landesregierungen, die Höchstdauer auszuschöpfen, wird allein schon aus finanziellen Erwägungen enorm sein. Geflüchteten wird selbst dann der Auszug aus den Erstaufnahmeeinrichtung verboten, wenn sie selbst privaten Wohnraum zu günstigeren Kosten oder gar eine kostenlose Unterkunft bei Freunden oder Verwandten finden. Betroffen sind davon auch Flüchtlinge mit sogenannter „guter Bleibeperspektive“.

Mit der Verpflichtung zum Verbleib in den Erstaufnahmeeinrichtungen geht die Residenzpflicht, ein absolutes Arbeitsverbot und in etlichen Bundesländern auch der Ausschluss von der Schulpflicht einher. Das Sachleistungsprinzip wird zwingend für den notwendigen Bedarf, einschließlich Ernährung und Kleidung, und als Soll-Bestimmung für den notwendigen persönlichen Bedarf, wie z.B. Fahrkarten (sodass der Staat immer weiß, wer sich wo befindet) oder Zigaretten. Diese Regelung produziert sozialen Sprengstoff, Konflikte und Verelendung in den Erstaufnahmeeinrichtungen, was Gewalt und Kriminalität befördern wird. Damit schafft man keine Akzeptanz in der Bevölkerung – im Gegenteil.

Völlig unverhältnismäßig und kontraproduktiv sind das Verbot der Ankündigung von Abschiebungen, die Beschränkung der Befassung der Härtefallkommissionen auf Fälle, in denen kein Rückführungstermin feststeht und die Verschärfung der Schleuserstrafbarkeit, statt die illegale Einreise zu entkriminalisieren und dadurch die Strafverfolgungsbehörden zu entlasten. Diese Regelungen werden den Erfolg bestehender freiwilliger Rückführungsprogramme torpedieren und einen enormen Kosten- und Personalaufwand verursachen. Bei den Winterabschiebungsstopps wird der Handlungsspielraum der Landesregierungen bei Abschiebungsstopps ohne Not eingeschränkt. Die vorübergehende Ermächtigung zur Ausübung der Heilkunde durch Asylsuchende ohne ärztliche Approbation, die allerdings für ihre Tätigkeit nicht vergütet werden dürfen, sehen wir genauso kritisch wie die Bundesärztekammer. Darin liegt ein doppelter Gleichheitsverstoß: Manche ausländischen Ärzte dürfen dann – anders als Deutsche – ohne Approbation ihren Beruf ausüben, allerdings nur bestimmte ausländische Patienten behandeln, denen dadurch faktisch der Zugang zu dem Regelsystem der Gesundheitsversorgung droht verwehrt zu werden.

Die Verbesserungen beim Zugang zu den Integrationskursen sind weitestgehend folgenlos, weil der Kreis der Berechtigten restriktiv und teilweise vage formuliert ist und lediglich ein nachrangiger Zugang statt eines Teilnahmeanspruchs geschaffen wird. Letztlich wird diese angebliche Verbesserung an den schon jetzt fehlenden Kursplätzen scheitern oder daran, dass die Kurszulassung nach den Regelungen der Verordnung zum Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz auf drei Monate befristet wird, was faktisch eine Kursteilnahme vereitelt.

Als mindestens problematisch bewerten wir auch die Ermöglichung der Ernennung von Beamten als Richter auf Zeit bei den Verwaltungsgerichten sowie Betrauung von Richtern auf Probe als Einzelrichter mit Asylangelegenheiten, trotz fortbestehender Beschränkungen bei der Zulassung von Rechtsmitteln. Rechtssicherheit kann nicht durch die Beschränkung von Rechtschutzmöglichkeiten hergestellt werden. Solange die Berufung in Asylsachen so selten zugelassen wird, solange wird sich auch eine einheitliche Rechtsprechung, die dringend notwendig wäre, nicht herausbilden können.

Wir setzen uns weiterhin für eine gerechte und solidarische Lastenteilung innerhalb der EU, für gleichberechtigte Mindestsicherungs- und Gesundheitsleistungen für Geflüchtete in Deutschland ein. Das Asylbewerberleistungsgesetz gehört abgeschafft und eine echte Gesundheitskarte für Geflüchtete eingeführt.

Die Herausforderungen, die mit den zu uns Geflüchteten verbunden sind, müssen endlich angenommen werden. Wenn die Bundesregierung weiterhin zögert, steuern wir im kommenden Winter auf eine humanitäre Krise in Deutschland zu. Die Bundesregierung muss dringendst Maßnahmen ergreifen, um den Ländern und Kommunen zu ermöglichen schnellstens Erstgesundheitsversorgungen und Impfungen bei allen Geflüchteten durchzuführen und dafür zu sorgen, dass die Kommunen noch vor dem Winter ausreichend Unterkünfte für Obdachlose, geflüchtete und andere, zur Verfügung stellen können.

Wolfgang Strengmann-Kuhn und Uwe Kekeritz