Fraktionsbeschluss vom 05.09.2016:

Grüne Erklärung zur Zukunft der EU: Ja zu Europa - Mut zu Veränderung

Die Europäische Union ist eine historische Errungenschaft, Stück für Stück von den Europäerinnen und Europäern erkämpft. Dabei hat Europa in den vergangenen 70 Jahren Großartiges geleistet: Aus einst verfeindeten Staaten wurden Freunde und Partner.

Mangelnde Solidarität im Umgang mit den vielen gegenwärtigen Krisen lassen allerdings die Zweifel wachsen, ob die EU und ihre Mitgliedstaaten in der Lage sind, die Herausforderungen unserer Zeit zu meistern. Dabei war die Entwicklung der EU nie ohne Brüche, Widersprüche, Rückschläge und Fehlentwicklungen. Immer wieder gab es tiefe Krisen. Oft genug erwiesen sich diese aber auch als Gelegenheit, Stagnation zu überwinden. Doch die vielen sich überlappenden Krisen Europas erschüttern insgesamt das Projekt der europäischen Einigung - stärker als jemals zuvor. Dazu trägt auch bei, dass die Spaltung innerhalb der EU-Mitgliedsstaaten immer stärker wird und der Frust gegenüber den Regierenden zunimmt. „Brüssel“ taugt dabei als hervorragender Sündenbock für nationale Versäumnisse. Das Brexit-Referendum in Großbritannien hat das drastisch zugespitzt. Es bedeutet einen massiven Rückschritt, einen Etappensieg des Nationalismus über die Europäische Vision.

Doch als überzeugte Europäer*innen sagen wir: Wir wollen dieses Miteinander, diese Union erhalten und mit Mut zu Veränderung um unsere europäische Zukunft kämpfen. Mit ihrem Status quo geben wir uns nicht zufrieden, denn er beantwortet wichtige Probleme von heute nicht mehr. Zwar wurden die Defizite der Europäischen Integration breit debattiert, doch die Staats- und Regierungschefs waren nicht in der Lage diese durch eine strukturelle Weiterentwicklung der EU zu beheben. Weil die EU aber so wertvoll und unabdingbar ist, wollen wir sie fortentwickeln und ihr auf diesem Weg auch wieder mehr Rückhalt bei den Bürgerinnen und Bürgern verschaffen.

Brexit: Nach historischem Rückschlag europäischen Zusammenhalt stärken

Nur gemeinsam sind wir in der Lage die globalen Herausforderungen unserer Zeit zu meistern. Für grenzüberschreitende Probleme kann es keine nationalen Lösungen geben. Auch deshalb wollten wir, dass Großbritannien Mitglied in der EU bleibt. Wir bedauern zutiefst, dass sich die Mehrheit der Brit*innen für einen EU-Austritt entschieden hat, aber wir akzeptieren diese Entscheidung. Ein für alle Seiten fairer Austrittsprozess muss nun zügig folgen, damit Unsicherheit schnellstmöglich beendet und das Vertrauen in die EU nicht weiter beschädigt wird. Es muss jetzt darum gehen, den Zusammenhalt der verbleibenden 27 EU-Mitgliedstaaten zu bewahren und zu stärken.

Es ist ein gutes Signal, dass eine Mehrheit der Schottinnen und Schotten in der EU bleiben wollte. Wir verstehen, dass die schottische Regierung diesem Wunsch der Wähler*innen nachkommen will. Wir wünschen uns daher, dass alle Beteiligten Wege für eine Lösung finden.

In aller Deutlichkeit verurteilen wir eine Brexit-Kampagne, die in weiten Teilen auf populistischen, in Teilen gar rassistischen und fremdenfeindlichen Tönen und Lügen basierte. Rückblickend wird aber auch klar, dass die pro-europäischen Kräfte sich zu spät und zögerlich für den Verbleib des Vereinigten Königreichs in der EU eingesetzt haben. Unser Europa ist nicht geprägt durch das Schüren von Ressentiments und Ausgrenzung. Leider erleben wir aber –auch von der Bundesregierung sowie von einigen Parteien und Parlamenten in Deutschland- immer wieder einen Politikstil, der ausschließlich nationale Interessen in den Mittelpunkt stellt und die Notwendigkeit europäischen Handelns der innenpolitischen Opportunität opfert. Das muss sich ändern. Die EU darf nicht länger der Sündenbock für das Versagen nationaler Politik sein.

Wir bleiben überzeugte Europäerinnen und Europäer

Denn: Die EU ist ein Garant für Frieden untereinander und friedliche Lösungen von Interessenskonflikten in einem rechtlichen Rahmen. Für das Überwinden trennender Grenzen, für gemeinsame Freiheit und gleiches Recht. In all seiner Vielfalt ist unser Kontinent dabei immer enger zusammen gewachsen. Die EU ist Vorreiterin für Gleichberechtigung und Umweltschutz. Solidarität ist ein zentraler europäischer Wert. Menschenrechte sind vor europäischen Gerichten einklagbar. Aufgrund der Werte, auf die sich die EU gründet - Achtung der Menschenwürde, Demokratie, individuelle Freiheit, Menschenrechte, Solidarität, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit – ist Europa für hunderttausende Menschen, die vor Krieg, Terror, Diktatur und Verfolgung Schutz suchen, ja gerade deshalb ein Sehnsuchtsort. Sie demonstrieren uns damit den hohen Wert dessen, was wir Europäer*innen in unserer Union erreicht haben. Die EU gab jedoch auch ein Wohlstandsversprechen: ihren Mitgliedern wirtschaftliche Vorteile und mehr Stabilität in einer globalisierten Welt zu verschaffen und damit zu Arbeitsplätzen und höheren Einkommen beizutragen. Auch wenn in den Mitgliedstaaten die soziale Ungleichheit aufgrund falscher Entscheidungen gerade massiv zunimmt, hat die EU in der Vergangenheit einen entscheidenden Beitrag zu mehr Wohlstand geleistet. Wir Europäer*innen setzen darauf, dass dieses Wohlstandsversprechen immer wieder neu eingelöst wird. Dazu braucht es mehr sozialen Zusammenhalt und mehr Solidarität.

Zugleich brauchen wir europäischen Zusammenhalt und Verflechtung zwischen den Mitgliedstaaten, aber nicht nur als Versicherung gegen den Rückfall in nationale Egoismen und chauvinistisches Gegeneinander. Der Zusammenhalt in der EU ist auch unverzichtbar im Ringen um die unendlich schwierigen Probleme, welchen die Weltgemeinschaft sich stellen muss: vom elementaren Kampf gegen Klimawandel über die Durchsetzung einer international gerechten Nachhaltigkeitspolitik, über das geduldige Eintreten für gemeinsame Sicherheit und globalen Frieden, über einen solidarischen Umgang mit Flucht und Migration bis zum Kampf für Rechtsstaatlichkeit und Demokratie. Die europäischen Länder können angesichts der Dynamik der Globalisierung nur gemeinsam ihr Gewicht wirksam für diese Ziele in die Waagschale werfen. Die EU bleibt nach wie vor das progressivste Beispiel dafür, wie souveräne Staaten sich friedlich und demokratisch bei allen Differenzen für gemeinsame Werte und Interessen einsetzen können.

Doch viele politische Akteure in zu vielen europäischen Mitgliedstaaten lassen sich derzeit von nationalen Egoismen leiten, statt auf gemeinsame solidarische Lösungen zu setzen. Gleichzeitig gibt es falsche oder kurzsichtige politische Entscheidungen, die das Vertrauen in die EU untergraben. Die tiefe Finanzkrise in Griechenland und in der Eurozone war ein deutlicher Weckruf, dass die Wirtschafts- und Währungsunion dringend reformiert und die soziale Spaltung in der EU abgebaut werden muss sowie Strukturreformen angepackt werden müssen. Beim Umwelt- und Naturschutz treibt eine konservativ-liberale Mehrheit auf europäischer Ebene eine De-Regulierungsagenda voran, die zentrale Errungenschaften in diesen Bereichen bedroht. Die Gemeinsame Agrarpolitik rennt noch immer dem falschen Dogma der Exportorientierung hinterher, ihre sozial-ökologische Neuausrichtung wird weiter verschleppt. Beim Klimaschutz verdrängen und verzögen nationale Regierungen heute trotz Pariser Gipfels das Notwendige. In der Flüchtlingspolitik fehlt die Solidarität. In Fragen des internationalen Handels spielen auch weiterhin menschenrechtliche oder entwicklungswirtschaftliche Erwägungen eine zu kleine Rolle. Bei der inneren und äußeren Sicherheit herrscht Eigensinn statt bürger- und menschenrechtsgeleitete Kooperation. Populistische Parteien und Bewegungen gewinnen in vielen Ländern an Boden.

Doch die EU ist auch stark, widerstands- und gestaltungsfähig. Heute prägt Europa unser Leben: Wir lernen, lieben, studieren und arbeiten in Paris oder London, wir haben Freundinnen und Freunde in Madrid oder Warschau. Wir reisen, ohne den Pass vorzuzeigen oder Geld umzutauschen. Wir zahlen mit griechischen Euro in Estland oder deutschen Euro in Italien. Die gemeinsamen Regeln im Binnenmarkt schützen uns in vielen Bereichen vor sozialem und ökologischem Dumping. Ob bei zivilgesellschaftlichem Engagement, in der Politik, Wissenschaft oder Wirtschaft, ob in Behörden oder Kultureinrichtungen: Wir vernetzen uns von Lissabon bis Nikosia, von Helsinki bis Valletta, um gemeinsam Lösungen für gemeinsame Probleme zu finden. Probleme, die uns alle betreffen und kein Staat mehr allein bewältigen kann.

Vor allem in der jungen Generation ist europäische Integration eine Selbstverständlichkeit. Beim Referendum in Großbritannien stimmte sie überwiegend für „In“. Wir sind überzeugt: Gestützt auf das Europa des Alltags   können wir die Veränderungen erkämpfen, die unsere Europäische Union zukunftsfester machen.

Gemeinsam oder getrennt?

Die Herausforderungen unserer Zeit sind global und zu groß, um in Kleinstaaterei zu verharren. Trotzdem werden etwa bei der Bekämpfung des Terrorismus und der organisierten Kriminalität, beim Kampf gegen Klimawandel und globale Armut, bei der ökologisch-sozialen Modernisierung unserer Wirtschaft, bei der Kontrolle globaler Finanzmärkte und transnationaler Konzerne, der Austrocknung von Steueroasen oder beim wirksamen Datenschutz nicht immer alle EU-Mitgliedstaaten mit gleicher Entschlossenheit in die gleiche Richtung am gleichen Strang ziehen wollen. Deshalb müssen wir uns grundsätzlich der Frage stellen, wieviel Binnendifferenzierung der EU möglich ist, ohne dass diese zerfällt, oder sogar nötig ist, damit sie nicht zerfällt.

Wir stellen uns in dieser Diskussion klar auf: Unser Ziel bleibt ein Europa, in dem alle zusammenhalten. Eine kategorische Spaltung in einen Euro-Exklusivclub und den Rest, in Norden und Süden oder ein Alle-außer–Griechenland bekämpfen wir. Die Teilung der EU in ein Kerneuropa und eine Peripherie lehnen wir ab. Allerdings kann es in einzelnen Fällen aus pragmatischen Gründen notwendig sein, dass eine Gruppe von Mitgliedstaaten vorangeht. Deshalb halten wir nach dem Konzept der variablen Geographie unterschiedliche Geschwindigkeiten in verschiedenen Bereichen in Form der verstärkten Zusammenarbeit für ein taugliches Mittel. Dort wo unterschiedliche Geschwindigkeiten tatsächlichen notwendig werden, wollen wir dies jedoch nicht außerhalb der EU-Verträge organisiert und die Rechte des Europäischen Parlaments und der EU-Kommission nicht ausgehöhlt sehen.

Wie viel Europa wollen wir?

Mehr Kompetenzen für die europäische Ebene heißt notwendigerweise, nationale Macht abzugeben. „Mehr Europa“ gilt für uns deshalb nur dort, wo die EU durch notwendiges und sinnvolles gemeinsames Handeln besser in der Lage ist, den Bürger*innen zu dienen als die nationalstaatliche, regionale oder kommunale Ebene. Wir wollen keine EU, die in jedem Bereich bis ins Kleinste vorschreibt, was zu tun oder zu lassen ist. Öffentliche Daseinsvorsorge und kommunale Selbstverwaltung müssen -nach wie vor- vor Ort gestaltet werden. Da in Zeiten von Globalisierung und Digitalisierung nahezu alle Lebensbereiche von gemeinsamen europäischen oder internationalen Vereinbarungen geprägt sind und sein werden, darf Subsidiarität jedoch nicht zum Deckmantel des Unwillens werden, mit anderen Ländern in Europa oder der Welt Kompromisse einzugehen.

Wo die Übertragung von nationalstaatlichen Entscheidungsbefugnissen auf die europäische Ebene notwendig und sinnvoll ist, muss klar sein: Dort wo nationale Parlamente Kompetenzen abgeben, muss das Europäische Parlament an Kompetenzen gewinnen. Außerdem muss ein solcher Souveränitätstransfer einhergehen mit den entsprechenden finanziellen Mitteln. Das, was wir aus guten Gründen europäisch organisieren, muss im Rahmen der Gemeinschaftsmethode, d.h. zwischen Europäischem Parlament, Rat und EU-Kommission, sowie innerhalb der EU-Verträge vollständig demokratisch verhandelt und gestaltet werden. Dazu müssen wir aber auch eine stärkere europäische Öffentlichkeit und eine größere Sichtbarkeit für die Verantwortlichen und ihr Handeln auf EU-Ebene schaffen. Vor allem die nationalen Parteien müssen dies endlich deutlicher vermitteln und ihren Europäischen Parteien höhere Relevanz verleihen. Denn wenn Dinge nur aus der eigenen nationalstaatlichen Brille betrachtet und zudem medial verstärkt werden, wird gegenseitiges Verständnis geschwächt und das gesamte Bild gerät aus dem Blick.

Für eine Stärkung der europäischen Demokratie

Selbstverständlich ist die EU demokratisch legitimiert. Behauptungen, egal von welchem Ende des politischen Spektrums, die der EU dies grundsätzlich absprechen, stellen wir uns entschieden entgegen. Aber wie jede Demokratie hat auch die europäische Demokratie Schwächen, die wir klar benennen und abbauen wollen. Zu oft wird europäische Demokratie zu einseitig über das Handeln nationaler Regierungen legitimiert anstatt über das Europäische Parlament. Das wollen wir ändern. Wir wollen, dass das Europäische Parlament als einzige direkt gewählte EU-Institution der zentrale Ort aller europäischen Entscheidungen wird und das Recht erhält, eigene Gesetzesvorschläge einzubringen. Es muss die alleinige parlamentarische Vertretung für alle Unionsbürger*innen und somit auch für die EU und ihre Währung, den Euro bleiben. Jegliche Formen von Euro-Nebenparlamenten lehnen wir ab. Zudem muss die Abwahl der Europäischen Kommission und ihres bzw. ihrer Präsident*in wie bei einem konstruktiven Misstrauensvotum durch eine Mehrheit der Abgeordneten des Europäischen Parlaments möglich sein und nicht wie bisher mit Zweidrittelmehrheit. Auch die nationalen Parlamente wollen wir durch vertraglich zugesicherte Informationsrechte stärken, damit das Handeln der eigenen Regierung in Brüssel stärker beeinflusst und kontrolliert werden kann.

Während das Europäische Parlament beispielsweise bei den öffentlichen Ausschusssitzungen transparenter arbeitet als Bundestag und Bundesrat, ist die Entscheidungsfindung der Regierungschef*innen, der nationalen Minister*innen im Rat oder der Eurogruppe kaum nachvollziehbar. Lobbyist*innen gelingt es immer wieder, erheblichen Einfluss auf die europäische Gesetzgebung zu nehmen. Allerdings sind Lobbiyst*innen, die ihre Interessen durchsetzen wollen an sich noch nicht verwerflich. Verwerflich agiert die Minderheit jener Politiker*innen, die diese Partikularinteressen in der Gesamtabwägung über das Gemeinwohl stellen.

Ein Schlüssel zur Stärkung der europäischen Demokratie ist mehr Transparenz - auch wenn die Abläufe in den EU-Institutionen teilweise schon heute transparenter sind als auf nationaler Ebene: Derzeit tagt der Rat nur dann öffentlich, wenn er gesetzgeberisch berät oder abstimmt. Das ist zu wenig. Der Rat sollte grundsätzlich öffentlich tagen und seine vorbereitenden Gremien transparent werden. Zudem sollten Protokolle sowie non-Paper in der Regel öffentlich sein. Gleiches gilt für die Eurogruppe. So werden Positionen, Debatte und Kompromisssuche von Beginn an nachvollziehbarer. Auch Verhandlungen zur EU-Gesetzgebung zwischen Rat, Europäischem Parlament und EU-Kommission (Triloge) müssen transparenter werden.

Wir wollen die Transparenz der Lobbyarbeit verbessern. Im Gegensatz zur Landes- und Bundesebene in Deutschland haben Europäisches Parlament und EU-Kommission bereits ein Lobbyregister. Aber es ist nicht verpflichtend. Wir wollen deswegen auf allen Ebenen der politischen Entscheidungsfindung verbindliche Lobbyregister, striktere Karenzzeiten und einen „legislativen Fußabdruck“, durch den die Einflussnahme Dritter auf EU-Gesetzgebung -sei es gegenüber nationalen oder europäischen Abgeordneten, Kommissions- oder nationalen Beamten oder Regierungsmitgliedern- überprüfbarer wird.

Unser Europa ist der lebendige, offene und demokratische Streit in den Parlamenten und der Gesellschaft um die politisch besten Konzepte. Wir wollen, dass europäische Entscheidungen auf europäischen Debatten beruhen. Für viele Bürgerinnen und Bürger Europas ist die EU weit weg. Das muss sich ändern: Es wäre besser, wenn das Europäische Parlament deutlich weniger Sitzungswochen in Strasbourg und Brüssel und dafür mehr Zeit für Europapolitik vor Ort hätte. Um die Handelnden in der EU sichtbarer zu machen, sollten Parteien auch weiterhin mit europäischen Spitzenkandidat*innen für das Amt des/der Kommissionspräsidenten/in zur Europawahl antreten. Außerdem setzen wir uns für transnationale Listen ein. Dazu müssen sich vor allen die nationalen Parteien endlich grundlegend ändern und an einer echten europäischen Parteiendemokratie und an einer Stärkung der Rolle des Europäischen Parlaments als Haus der europäischen Demokratie beteiligen.

Wir setzen uns ein für eine europäische Demokratie, in der jeder Europäer und jede Europäerin Einfluss nehmen, politisch mitwirken und Entscheidungen mitgestalten kann. Deshalb wollen wir unnötig hohe Hürden bei demokratischen Beteiligungsinstrumenten abbauen. Das gilt beispielsweise für die Europäische Bürgerinitiative (EBI), bei der wir außerdem prüfen wollen, ob sie perspektivisch zu einem Instrument einer echten europäischen Volksinitiative ausgebaut werden kann. Perspektivisch sollte zudem die Unionsbürgerschaft zu einer europäischen Staatsbürgerschaft fortentwickelt werden, so dass Unionsbürger*innen in den Mitgliedstaaten, in denen sie leben, die vollen bürgerlichen Rechte genießen.

 Die Wirtschafts- und Finanzkrise gemeinsam überwinden: für eine sozialere und gerechtere EU

Die letzten Jahre der tiefen Wirtschafts- und Finanzkrise waren ein deutlicher Weckruf, dass die EU noch nicht ausreichend handlungsfähig und krisenfest ist. Das muss sich ändern. Mit der Bankenunion, dem Euro-Rettungsschirm (ESM) oder dem EU-Investitionsfonds wurden zwar schon einige Schritte in die richtige Richtung unternommen. Aber diese Schritte sind noch nicht ausreichend: Die EU muss ihre Institutionen sowie bestehende Strukturen und Instrumente reformieren oder weiterentwickeln. Um die Folgen der Krise zu bewältigen, braucht es einen vernünftigen Dreiklang aus Zukunftsinvestitionen, Strukturreformen und Haushaltskonsolidierung. Und der schweren sozialen Krise in Teilen Europas wollen wir begegnen mit Maßnahmen für soziale Teilhabe und mehr Gerechtigkeit in der EU.

Strukturell sollte im Bereich der Wirtschafts- und Währungsunion das Europäische Parlament gleichberechtigt zu Rat oder Eurogruppe mitentscheiden. Um dies effizient vorzubereiten, sollte ein Sonderausschuss für Euro-Fragen mit besonderen Informationsrechten eingerichtet werden. In diesem Ausschuss sollten EU-Abgeordnete unabhängig von ihrer Nationalität mitwirken können. Wir setzen uns dafür ein, dass ein Mitglied der EU-Kommission im Bereich der Wirtschafts- und Währungsunion mit allen Kompetenzen und einem Veto-Recht ausgestattet wird. Diese Person sollte sowohl individuell durch das Europäische Parlament ge- bzw. abgewählt werden sowie den Vorsitz der Euro-Gruppe und des Rats für Wirtschaft und Finanzen (ECOFIN) innehaben. Mit diesem „Doppelhut“ wäre der Präsident der Eurogruppe gegenüber dem Europäischen Parlament rechenschaftspflichtig.

 Fehler korrigieren – Ungleichgewichte abbauen – soziale Sicherung ausbauen

In der Finanz- und Wirtschaftskrise wurden viele, auch schwerwiegende Fehler gemacht – von nationalen Regierungen, der Troika und der Euro-Gruppe. Einer dieser Fehler war die einäugige europäische Austeritätspolitik. Zu wenig wurde außerdem getan, um neben notwendigen Strukturreformen und Sparmaßnahmen auch positive Impulse für die Wirtschaft zu setzen. Diese Fehler müssen korrigiert werden. Wir brauchen einen dauerhaften Weg aus der Krise durch sozial-gerechte Strukturreformen, nachhaltige Haushaltskonsolidierung und eine neue Wirtschaftsdynamik durch nachhaltige Investitionen in die Zukunft – national wie europäisch.

Die aktuellen Krisen und mangelnde finanzielle Ressourcen für adäquate europäische Antworten zeigen die Notwendigkeit für eine Reform der Eigenmittel der EU. Anstatt weiterhin von der Gunst der EU-Mitgliedstaaten abhängig zu sein, wollen wir die EU mit stabilen und ausreichenden Eigenmitteln ausstatten, die mehr Transparenz und demokratische Kontrolle im EU-Budget zulassen, aktuelle Rabattregelungen für einzelne Länder ablösen und zugleich ökologische Steuerungswirkungen zur Erreichung der Klimaziele entfalten. Die sozial-ökologische Transformation der europäischen Wirtschaft wollen wir unter anderem durch einen neuen Zukunftsfonds im EU-Haushalt vorantreiben, der durch einen europäischen Steuerpakt finanziert wird und europäisch koordinierte und finanzierte Zukunftsinvestitionen möglich macht. Zudem wollen wir diskutieren, wie im Rahmen des EU-Haushalts und unter Kontrolle des Europäischen Parlaments eine Fiskalkapazität der Währung und Wirtschaftsunion ausgestaltet sein könnte, die beispielsweise keinen EU-Mitgliedstaat kategorisch ausschließt, stärker als bisher gemeinsame Investitionen voranbringt, auf konjunkturelle und asymmetrischen Schocks reagiert, strukturelle Reformen fördert oder an politische Zielsetzung geknüpft ist. 

Wir setzen uns dafür ein, dass wirtschaftliche Ungleichgewichte in der EU effektiver als bisher abgebaut und die wirtschaftspolitische Steuerung über das so genannte Europäische Semester gestärkt wird. Zum Abbau exzessiver Schulden setzen wir weiterhin auf verbindliche europäische Regeln in Verbindung mit der Einrichtung eines Altschuldentilgungsfonds mit europäischen Anleihen. Außerdem sollte der Europäische Stabilitätsmechanismus zu einem Europäischen Währungsfonds (EWF) unter Kontrolle des Europäischen Parlaments ausgebaut werden. Die sogenannte Troika muss bis zu ihrer Ablösung durch einen EWF transparenter und stärker als bisher parlamentarisch kontrolliert werden.  Die Bankenunion muss vollendet, eine Kapitalmarktunion aufgebaut und der gemeinsame Kampf gegen Steuervermeidung und -hinterziehung zur Verbesserung der Einnahmeseite deutlich gestärkt werden.

Auch wenn sich die wirtschaftliche Lage in sogenannten Krisenländern langsam verbessert haben mag, indem Ungleichgewichte abgebaut werden und Arbeitslosenzahlen – wenn auch auf hohem Niveau – zurückgehen sowie Finanzierungsbedingungen für Firmen und Wettbewerbsfähigkeit sich günstiger entwickeln, so ist doch unübersehbar, dass davon bei breiten Teilen der Bevölkerung noch zu wenig angekommen ist. Auch bleibt die Situation höchst fragil. Unvorhergesehene Ereignisse oder Veränderungen bei Ölpreis, Eurokurs oder Zinssätzen können die leichte Stabilisierung gefährden und neue Rettungsprogramme nötig machen. Vor allem der jungen Generation muss dringend eine Perspektive raus aus dem Krisenmodus geschaffen werden. Ansonsten verliert das Versprechen der EU auf Wohlstand und soziale Teilhabe für alle massiv an Glaubwürdigkeit.

Allerdings hat die europäische Ebene im sozialen Bereich bisher wenig Kompetenz, da die EU-Mitgliedstaaten ihre Sozialversicherungssysteme nicht übertragen wollen. Wenn wir darüber diskutieren, wie Europa sozialer werden soll, muss zunächst die Frage geklärt werden, wie viel Kompetenz wir auf die europäische Ebene abgeben wollen. Zentrale und mit aktuellen EU-Kompetenzen mögliche erste Schritte sind für uns: Solidarisch finanzierte Transfers in Gemeinschaftsprojekte für den sozialen, ökologischen und wirtschaftlichen Zusammenhalt in der EU als Investitionen in unsere gemeinsame europäische Zukunft; weitere, verbindliche Ziele in der Sozialpolitik; eine stärkere Koordinierung sowie Mindeststandards im Bereich der sozialen Sicherung und des Arbeitsmarkts sowie eine Mindesteinkommensrichtlinie für Eckpunkte von Grundsicherungsleistungen in den einzelnen Mitgliedstaaten. Die Freizügigkeit muss besser sozial abgesichert werden. Alle Unionsbürger*innen, die in einem EU-Mitgliedstaat Arbeit suchen, sollen dabei so unterstützt werden, dass sie eine Chance auf dem Arbeitsmarkt bekommen und grundsätzlich Zugang zu Grundsicherungsleistungen erhalten. Die besorgniserregend hohe Jugendarbeitslosigkeit wollen wir unter anderem mit einer effektiveren EU-Jugendgarantie bekämpfen. Unser Binnenmarkt geht mit gemeinsamen Regeln einher, die aus der EU mehr als nur eine Freihandelszone machen. Häufig wird die EU für Bürokratie und Regulierungseifer kritisiert. Aber in einem gemeinsamen Binnenmarkt mit freien Waren, Dienstleistungen, Kapital und weniger flexiblen Menschen sind eben auch Regeln notwendig, um Dumping und Standortnachteil durch niedrigere Standards zu verhindern. Dazu zählen auch Regeln zum Mutterschutz oder zur Arbeitszeit.

Wir sind überzeugt, dass Europa nur zusammenhält, wenn auch die Gesellschaft in Europa zusammenhält. Deswegen setzen wir uns auf europäischer wie in den jeweiligen Mitgliedstaaten für einen Politikwechsel hin zu einer sozialeren Politik ein.

Unser Green New Deal für Europas Zukunft

Wir Grüne kämpfen für ein besseres Morgen in einer gerechten und lebenswerten Welt - für alle Menschen, überall. Wir wollen Volkswirtschaften, die jetzt und künftig den Menschen dienen, Wohlstand und Chancen gerechter verteilen und die ökologischen Grenzen unseres gemeinsamen Planeten achten. Damit die EU angemessen dazu beiträgt, braucht sie einen Green New Deal, der ökonomische, ökologische und soziale Probleme gleichermaßen in Angriff nimmt. Europa muss sich dabei gar nicht neu erfinden, sondern auf das zurückgreifen, wofür es jahrelang stand. Nämlich auf eine ambitionierte Umweltpolitik, die auch vor Ort sichtbar ist. Nahezu alle zentralen Rechte, die Bürger*innen nutzen können, um sich im Umweltschutz Gehör zu verschaffen, basieren auf europäischen Rechtsgrundlagen: ein Verbandsklagerecht für Umweltverbände, das Verschlechterungsverbot für Gewässer oder die großen Flora-Fauna-Habitat- und Vogelschutzgebiete, gebündelt in den grenzüberschreitenden Natura 2000 Gebieten. Gerade weil Wasser und Luft nicht an Grenzen halt machen, käme so gut wie kein Mensch auf die Idee, diesen Bereich national regeln zu wollen. Umso fataler ist es, dass die aktuelle EU-Kommission auf Anweisung der Staats- und Regierungschefs hier nun die Axt der Deregulierung anlegen will. Wir Grüne wollen das verhindern.

Wir kämpfen für eine europäische Klima- und Energieunion mit ambitionierten Zielen bei Erneuerbaren, Emissionsminderung und Energieeinsparung sowie für hohe Umweltstandards als Innovationstreiber. Dabei muss die EU auch ihrer Verantwortung zur Einhaltung des Pariser Klimaabkommens gerecht werden. Nicht nur in diesen Bereichen, sondern auch bei Schieneninfrastruktur, schnellem Internet sowie Bildung und Forschung muss deutlich mehr investiert werden. Nur auf Basis von Wissenschaft und Forschung wird es gelingen, die Innovationen zu entwickeln, die Europa für mehr Fortschritt braucht. Deshalb muss die europäische Forschungsförderung noch viel stärker als bisher auf Forschen für den sozial-ökologischen Wandel und die Lösung großer gesellschaftlicher Herausforderungen zugeschnitten werden.

Wir brauchen eine europäische Industriestrategie, die auf Ressourcen- und Energieeffizienz, Digitalisierung, neue Produktionstechnologien und Kreislaufwirtschaft setzt. Mit einem aktiven „divestment“ auch in den öffentlichen Finanzen muss für Umschichtung gesorgt werden: Weg von der Finanzierung der Zerstörung unseres Planeten hin zu einer umwelt- und klimafreundlicheren Wirtschaft („low-carbon economy“). Um zu verhindern, dass einige Länder hier einen notwendigen Fortschritt blockieren, wäre dieser Bereich aus unserer Sicht für eine verstärkte Zusammenarbeit geeignet.  

In der Agrar- und Ernährungspolitik verfolgen wir das Ziel einer konsequenten Neuausrichtung, die den europäischen Zielen in der Klima-, Umwelt-, Verbraucher- und Entwicklungspolitik entspricht und die Potentiale und Perspektiven ländlicher Räume nachhaltig gestaltet und fördert. Bereits jetzt machen zahlreiche regional verankerte, bäuerlich-ökologisch, tier- und umweltfreundlich wirtschaftende Betriebe vor, dass eine andere Landwirtschaft möglich ist. Doch es mangelt an den notwendigen Investitionen in eine entsprechende Agrarforschung sowie an den nötigen Weichenstellungen für eine sozial-ökologische Agrarwende.

Und wir wollen einen europäischen Digitalpakt, der auf eine soziale und ethisch verträgliche Automatisierung und Digitalisierung setzt und die Stärken der europäischen IT-Wirtschaft – etwa bei sicheren, datenschutzfreundlichen und offenen Technikstandards – besonders fördert.

Nationale Egoismen überwinden - für eine solidarische und humane EU-Asylpolitik

Die vor Armut, Terror und Krieg fliehenden Menschen lassen bedauerlicherweise viele Regierungen die offenen Grenzen innerhalb Europas in Frage stellen oder im Alleingang sogar schließen. Aber der Bau neuer Grenzzäune wird diese Herausforderung nicht lösen.  Er fügt den Verbraucher*innen, den Arbeitsplätzen und den Unternehmen Schaden zu, denn sie alle profitieren von offenen Grenzen. Vielmehr braucht es ein Bekenntnis zu Schengen als einem der Grundpfeiler der EU und endlich eine gemeinsame solidarische und humane EU-Asylpolitik, die die Rechte der Schutzsuchenden in den Mittelpunkt stellt. Deren Herzstück ist eine gerechte und dauerhafte Verteilung der geflüchteten Menschen, an der sich nach und nach alle Mitgliedstaaten solidarisch beteiligen. Anerkannte Flüchtlinge sollten nach einer Übergangszeit innerhalb der Union freizügigkeitsberechtigt nach denselben Regelungen wie Unionsbürger*innen werden. Damit es in diese Richtung wieder positive Bewegung gibt, wird eine Gruppe von Mitgliedsstaaten vorangehen müssen. Dafür muss sich Deutschland einsetzen und gleichzeitig dafür sorgen, dass seine mitteleuropäischen Partner eingebunden werden oder sich zumindest nicht vor den Kopf gestoßen fühlen. Bei der Verteilung geflüchteter Menschen sollten die Anknüpfungspunkte von Asylsuchenden, wie zum Beispiel Sprachkenntnisse oder familiäre Bindungen, berücksichtigt werden. Dies wirkt sich positiv auf deren Integrationschancen aus, die wir durch den Aufbau einer Integrationsstruktur in den EU-Mitgliedstaaten unterstützen wollen.  Bei allen Bemühungen um eine Harmonisierung von Asylverfahren innerhalb der Union muss gewährleistet sein, dass diese auf ein hohes Schutzniveau und menschenwürdige Aufnahmebedingungen abzielen und nicht etwa auf eine Absenkung von Standards oder die Einführung von Zwangsmaßnahmen. Perspektivisch brauchen wir ein einheitliches Asylverfahren nach gemeinsamen Regelungen, die die flüchtlingsrechtlichen Vorgaben des Völkerrechts umfassend verwirklichen und die Menschenrechte der Schutzsuchenden zu größtmöglicher Entfaltung bringen. Der Rechtsweg gegen asylrechtliche Entscheidungen muss unionsweit gewährleistet werden, die Bedürfnisse besonders schutzbedürftiger Flüchtlinge müssen beachtet werden.

Statt auf die Illusion einer Abschottung der EU zu setzen, treten wir ein für ein Grenzregime, das den gemeinsamen Schutz der Menschrechte zur Grundlage hat, Rechtssicherheit garantiert sowie das Vertrauen in das Schengensystem stärkt. Legale und sichere Zugangswege sowie gezielte Familienzusammenführungen und das Resettlement müssen gestärkt und mehr Kapazitäten für eine gemeinsame Seenotrettung eingesetzt werden.

Als größtes Aufnahme- und Transitland aus dem syrischen Kriegsgebiet ist die Türkei für Europa wichtiger Ansprechpartner in der Flüchtlingspolitik. Deshalb steht die EU in der Pflicht, mit der Türkei und anderen Ländern in der Region zusammen zu arbeiten, um die Lage von Millionen Flüchtlingen zu verbessern. Das Abkommen mit der Türkei lehnen wir in seiner heutigen Form allerdings ab, insbesondere die sogenannte eins-zu-eins-Regelung, die die Aufnahme von Schutzsuchenden durch die EU an die Zahl der aus Griechenland in die Türkei zurückgeführten Flüchtlinge bindet. Es verschiebt die humanitäre Verantwortung der EU-Mitgliedstaaten nach Griechenland und in eine immer autokratischer regierte Türkei und führt zu unmenschlichen Zuständen für die Geflüchteten. Es darf nicht Teil des Deals sein, dass Europa jetzt wegschaut und schweigt, wenn in der Türkei massiv Menschen- und Grundrechte verletzt werden, beispielsweise bei der Abschiebung syrischer Flüchtlinge nach Syrien. Auch darf der EU-Türkei-Deal keinesfalls zur Blaupause für weitere fragwürdige Abkommen mit Drittstaaten werden, wie sie derzeit u.a. im Rahmen der Khartum- und Rabat-Prozesse sowie infolge der Valletta-Konferenz mit Staaten am Horn von Afrika angestrebt werden.

Damit weniger Menschen vor Terror, Krieg und Armut fliehen, muss die EU auch durch gute Entwicklungszusammenarbeit sowie sensibler und kohärenter Politik ihren Beitrag zu einer gerechteren und nachhaltigen Welt leisten. Dabei sollten sich alle EU-Mitgliedsländer besser abstimmen: Indem sie ihre Strategien untereinander harmonisieren, wird ihr gemeinsames Tun im globalen Süden wirksamer. Damit Europa als Partnerin für Entwicklungsländer glaubwürdig bleibt, muss das Ziel, 0,7% des Haushaltes für Entwicklung zu investieren, erfüllt werden.

In Zeiten des Terrors Sicherheit und Freiheit europäisch stärken

Wir Grüne treten für eine stärkere Europäisierung der inneren und äußeren Sicherheit ein. Nach den furchtbaren Anschlägen in Paris und Brüssel gab es enorme Solidarität zwischen den EU-Mitgliedstaaten. Aber es wurden auch reflexhafte Rufe nach Verallgemeinerung von Überwachungsmaßnahmen laut, etwa beim Flugverkehr. Wir sind der Meinung, dass mehr europäische Zusammenarbeit in der Sicherheitspolitik einen sehr viel konkreteren Beitrag zu mehr Sicherheit leisten würde. Die EU-Mitgliedstaaten sind gefordert, besser zu kooperieren und mehr Geld und mehr Personal für sinnvolle Ermittlungsarbeit bereitzustellen. Anstatt mit einem anlasslos agierenden Überwachungsapparat und gefährlicher Pauschalverknüpfung sämtlicher Datensammlungen die Freiheit der Europäer*innen einzuschränken, sollten vorhandene Strukturen genutzt sowie rechtzeitig und vollständig alle wichtigen Informationen über Verdächtige weitergeben werden. So schaffen die EU-Mitgliedstaaten mehr Sicherheit für die Bürgerinnen und Bürger in der EU.

Polizei, Sicherheitsbehörden und Geheimdienste müssen auf europäischer Ebene besser kooperieren, brauchen dafür aber klare rechtstaatliche EU-Rahmenbedingungen. Es muss daher auch endlich im Bereich der „nationalen Sicherheit“ gemeinsame Standards für Grundrechte und parlamentarische Kontrolle geben. Zudem müssen die Behörden für die grenzübergreifende Zusammenarbeit in konkreten Fällen auch besser ausgestattet werden. So sollten zum Beispiel gemeinsame Ermittlungsteams bei Europol und Eurojust, insbesondere auch im Bereich der Terrorismusbekämpfung gestärkt werden, damit künftig auch dort die lokalen und regionalen Sicherheitsbehörden in Europa enger zusammenarbeiten. Dafür brauchen wir zusätzliche Mittel und Personal für Koordination, Informationsplattformen und Übersetzung.

Europa kann auch nicht darauf verzichten, bei der äußeren Sicherheit besser zusammenzuarbeiten. Dabei geht es um die besser koordinierte Nutzung bestehender Fähigkeiten. Eine Verpflichtung der EU-Staaten auf die zwar gebetsmühlenartig wiederholte aber trotzdem unrealistische Forderung nach einer Erhöhung der Militärbudgets auf 2% des BIP lehnen wir ab. Unsere Parole lautet: Fähigkeiten im Bereich Sicherheit bündeln statt die Verschwendung öffentlicher Gelder bei der Rüstung fortzusetzen. Es braucht den Ausbau von Kapazitäten und Fähigkeiten zur Förderung von Frieden, Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit. 

Europäische Werte verteidigen

Die europäischen Werte nehmen Schaden in einer Debatte, in der nationale Egoismen schwerer wiegen als das gemeinsame europäische Interesse. Zudem haben die Krisen auch bestehende rechte Ressentiments angeheizt. Wir sehen, dass mehr und mehr nationalistische Populisten die aktuellen Krisen benutzen, um mit scheinbar einfachen nationalen Lösungen zu punkten. Dabei nehmen sie sehenden Auges in Kauf, die wirtschaftlichen Vorteile und sozialen Chancen Europas zu zerstören. National wie europäisch treten wir daher den Anti-Europäern und Rechtspopulisten entschieden entgegen. Denn für uns ist Fakt: Europa ist kein Kampf von Nationen. Es geht um mehr als um wirtschaftliche Vorteile, die Verteilung von Geld und das Aushandeln nationaler Rabatte. Europa bedeutet heute mehr denn je für Millionen von Menschen Hoffnung auf ein besseres Leben.

Europa basiert auf Werten, die universell sind: Achtung der Menschenwürde, Demokratie, individuelle Freiheit, Menschenrechte, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit. Und Europa muss sich an seinem eigenen Anspruch, seinen Zielen und Werten messen lassen: Sei es nach innen, wenn es um die Solidarität bei der europaweiten Verteilung von flüchtenden Menschen geht. Sei es nach Außen, wenn es beispielsweise um die Gestaltung einer gerechten globalen Handelspolitik geht. Und nur indem Europa mit einer gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik mehr Verantwortung übernimmt, kann es die Welt gerechter gestalten und friedlicher machen. Deshalb braucht die EU eine langfristige außenpolitische Strategie, die Europas Herausforderungen, seine Verantwortung und seine Interessen in der Welt benennt und die den Menschenrechtsschutz, die Schutzverantwortung, zivile Krisenprävention, die Bekämpfung von Fluchtursachen, eine Stärkung des Internationalen Strafgerichtshofs sowie multinationale Kooperation verfolgt. Wir wollen, dass die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik enger mit Beitrittsverfahren und der Europäischen Nachbarschaftspolitik verzahnt wird, um jenseits technokratischer Verhandlungen kohärente politische Impulse setzen zu können. EU-Erweiterungen müssen grundsätzlich möglich bleiben, anstatt den vielerorts vorhandenen Reformeifer durch Ausschluss weiterer Beitritte auszubremsen.

Und nach Innen gilt der gleiche Anspruch: Nur wenn auch die nationalen Demokratien in der EU gut funktionieren, wird Europa seinem Wertefundament gerecht werden können. Deshalb ist es wichtig gegenüber Regierungen, die von diesem Wertefundament abweichen, klare Kritik zu üben, ohne dabei die Freundschaft mit dem betreffenden Land in Frage zu stellen. Bevormundung und plumper Populismus sind nämlich nicht selten Wasser auf die Mühlen derer, die Ressentiments gegen andere und Europa schüren. Die EU soll nicht wegsehen, wenn einzelne Regierungen die Demokratie in ihrem Land schwächen wollen. Der vorhandene Rechtstaatsmechanismus ist ein erster Schritt, um über Missstände in einen Dialog mit Regierungen zu treten. Er muss aber dringend zu einem wirksamen europäischen Instrument ausgebaut werden, durch das auch die Rechtsstaatlichkeit aller Mitgliedsländer regelmäßig überprüft wird. 

Wir Grüne wollen Europa zusammenhalten: Ja zu Europa - Mut zu Veränderung

Trotz all der enormen Herausforderungen unserer Zeit werden wir nicht vergessen: Europa hat uns die Freiheit geschenkt, gemeinsam und friedlich in unserer Vielfalt zu leben. Das ist für uns eine historische Errungenschaft und wir wollen, dass das so bleibt. Deshalb ist es für uns selbstverständlich, dass wir weiter an unserem gemeinsamen Haus Europa bauen, Schwächen in der Struktur und in der Umsetzung seiner Werte benennen und angehen. Wir wissen, dass einige unserer Vorschläge eine Änderung der EU-Verträge bedeuten würden. Notwendige Vertragsänderungen wollen wir jedoch nicht in Hinterzimmer, sondern im Rahmen eines Europäischen Konvents in einem öffentlichen, demokratischen und bürgerfreundlichen Verfahren diskutieren und erarbeiten.

Wir kämpfen für die Stärkung der europäischen Demokratie. Wir wollen, dass Europa nachhaltiger, solidarischer, gerechter und verantwortungsvoller gegenüber der Welt und gegenüber seinen Bürgerinnen und Bürgern wird.

Fachpolitische Arbeitspapiere zur Grünen Erklärung "Ja zu Europa - Mut zu Veränderung"