Ziel der Kleinen Anfrage
Einen „neuen Aufbruch für Europa“ versprach der Koalitionsvertrag der Bundesregierung. Ein „Europa der Demokratie und Solidarität“. „Soziale Grundrechte, insbesondere das Prinzip des gleichen Lohns für gleiche Arbeit am gleichen Ort in der EU“, wollte die Bundesregierung durch einen „Sozialpakt stärken“. Sie wollte für „faire Rahmenbedingungen für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und eine bessere Koordinierung der Arbeitsmarktpolitik“ sorgen und „einen Rahmen für Mindestlohnregelungen sowie für nationale Grundsicherungssysteme in den EU-Staaten entwickeln.“
Mit unserer Kleinen Anfrage wollten wir die zentralen Versprechen der Bundesregierung in Bezug auf die Stärkung dessen, was gemeinhin als das „Soziale Europa“ bezeichnet wird, überprüfen. Wie viel Fortschritt ist, nach inzwischen einem guten Stück mehr als 100 Tagen, erkennbar?
Bewertung der Antworten
Die Bundesregierung bleibt blank dabei, konkrete Fortschritte oder eigene Initiativen zur Umsetzung der Versprechen im Koalitionsvertrag vorzuweisen. Dass sich die Überlegungen „noch in einem frühen Stadium“ befinden würden, ist eine der Standardantworten, die sich in der Reaktion auf unsere Kleine Anfrage finden. Hier und da verweist die Bundesregierung auf laufende europäische Prozesse – die jedoch schon längst vor dem Amtsantritt dieser Bundesregierung gestartet wurden und für deren Voranschreiten ein Beitrag der Bundesregierung keine Bedingung darstellt. Eigene Projekte oder Ideen aus dem Koalitionsvertrag - wie ein Sozialpakt für soziale Grundrechte - finden keinerlei Erwähnung mehr. Zumindest ein Eingeständnis verdient immerhin Anerkennung: Zurückblickend auf die an die Grenzen des Rechtspopulismus reichende Kampagne um einen vermeintlichen Missbrauch von Sozialleistungen durch Angehörige anderer EU-Staaten in Deutschland erkennt die Bundesregierung inzwischen an: ein Bezug von Sozialleistungen ist kein Missbrauch, weil die Betroffenen ein Anrecht darauf haben. Zahlen zum Missbrauch von Sozialleistungen durch EU-Bürgerinnen und EU-Bürger legt die Bundesregierung auch auf unsere Nachfrage nicht vor. Das ist kein Wunder, denn es gibt schlicht keine Zahlen, die einen nennenswerten Missbrauch belegen.
Die Untätigkeit der Bundesregierung in Sachen „Soziales Europa“ ist fahrlässig, denn die Legislaturperiode in der EU neigt sich dem Ende zu. Das Nicht-Handeln der Bundesregierung führt dazu, dass die schön klingenden Projekte auf die lange Bank geschoben werden. Mehr soziales Europa wird es mit und wegen dieser Bundesregierung nicht geben. Dabei wäre jetzt die Gelegenheit da gewesen, da der französische Präsident Macron eine Debatte über die Reform Europas angestoßen hatte, dabei den Aspekt eines sozialeren Europas stark zu machen. Die Bundesregierung hat diese Chance verpasst. Denn ein sozialeres Europa ist notwendiger denn je, für den sozialen Zusammenhalt in Europa aber auch für ökonomische Stabilität. Dazu gehen aus unserer Sicht die Vorschläge im Koalitionsvertrag nicht weit genug.
Zur „Vertiefung der sozialen Dimension der Wirtschafts- und Währungsunion“ wären aus unserer Sicht auch Schritte zu grenzüberschreitenden sozialen Sicherungssystemen, wie einer Europäischen Arbeitslosenversicherung sinnvoll. Es sind durchaus wichtige Schritte in Richtung Soziales Europa im Koalitionsvertrag enthalten, die wir Grünen unterstützt hätten. Dazu gehört insbesondere die Forderung nach einem „Rahmen“ für Mindeststandards für nationale Grundsicherungssysteme und Mindestlöhne, auch wenn Rahmen eine sehr schwammige Formulierung ist und wir Grünen uns schon lange eine EU-Richtlinie mit Mindeststandards vor allem für die Grundsicherungssysteme einsetzen. Die Antworten der Bundesregierung auf unsere Kleine Anfrage machen aber deutlich, dass von den Vorhaben zum Themenbereich Soziales Europa nichts umgesetzt werden wird. Eine verpasste Chance.
Bewertung einzelner Handlungsfelder eines Sozialen Europas
Jugendarbeitslosigkeit (Frage 1):
Kein Geld und keine neuen Maßnahmen. Die Bundesregierung verweist lediglich auf bereits bestehenden europäischen Maßnahmen (Jugendbeschäftigungsgarantie und Jugendbeschäftigungsinitiative) und will oder kann nicht benennen, ob oder wieviel Finanzmittel sie zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit zur Verfügung stellen möchte.
Verbesserung sozialer Rechte (Frage 2):
Von einem Sozialpakt wie im Koalitionsvertrag ist nun keine Rede mehr. Ansonsten seien hier „die Überlegungen der Bundesregierung noch in einem sehr frühen Stadium.“ Die Bundesregierung gibt jede Eigeninitiative auf und wartet auf einen Vorschlag der Kommission.
Gleicher Lohn, für gleiche Arbeit (Frage 2):
Es wird ausschließlich auf die Entsenderichtlinie verwiesen, bei der es um das „Prinzip des gleichen Lohns für gleiche Arbeit am gleichen Ort“ ging und die von der Bundesregierung unterstützt wird.
Faire Arbeitsbedingungen / Arbeitsmarktpolitik (Frage 3+9):
Bundesregierung kann keine weitergehenden Pläne abseits der ohnehin von der Kommission vorgeschlagenen Einrichtung einer Europäischen Arbeitsmarktbehörde, vorweisen. Der Auftrag dieser Behörde wird jedoch auf Bereitstellung von Informationen für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, Verbesserung der Zusammenarbeit nationaler Behörden sowie Bekämpfung von Missbrauch der Arbeits- und Sozialgesetzgebung beschränkt sein – eine aktive Arbeitsmarktpolitik oder eine Kontrollfunktion in Bezug auf die Einhaltung fairer Arbeitsbedingungen ist davon nicht zu erwarten.
Europäischer Rahmen für Mindestlöhne und Grundsicherungssysteme (Frage 4 und 5):
Keine Aktivitäten der Bundesregierung.
Kampf gegen die Diskriminierung von EU-Bürgern (Frage 8):
Die Bundesregierung hat bei der Beauftragten des Bundes für Migration, Flüchtlinge und Integration die Gleichbehandlungsstelle EU-Arbeitnehmer eingerichtet. Außerdem werden Beratungsstellungen wie „Faire Mobilität“ von der Bundesregierung unterstützt. Das ist gut! Doch gibt es diese Beratungsstelle schon seit 2016 und dazu, was Sie konkret gegen Diskriminierung und den Vorwurf des Sozialmissbrauchs tun, schreiben sie nichts.
Die soziale Dimension der Wirtschafts- und Währungsunion stärken (Frage 11 und 12):
Im Koalitionsvertrag kündigte die Bundesregierung Haushaltsmittel u.a. für die „soziale Konvergenz“ an. Nun verweist sie auf die Meseberg-Vereinbarung, in der sich vom Sozialen jedoch nichts mehr wiederfindet.
Stand: 16.07.2018