Auswertung | 16.03.2015

Die Bundesregierung hat keine Zahlen und keine Ambitionen sich der Armut in Deutschland entgegenzustellen

Antworten der Bundesregierung auf die kleine Anfrage "Bekämpfung von Obdachlosigkeit, gesundheitlicher Ungleichheit und extremer Armut in Deutschland“ sind ernüchternd

 

Die Antworten der Bundesregierung auf die kleine Anfrage „Bekämpfung von Obdachlosigkeit, gesundheitlicher Ungleichheit und extremer Armut in Deutschland“ gibt es seit dem 16.03.2015 mit der Drucksachennummer 18/4261  hier.

Den Bericht des Tagesspiegel, von Cordula Eubel, erschienen am 09.03.2015 gibt es hier.

Die Auswertung als PDF zum Download: Auswertung k.A. Obdachlosigkeit vom 10.03.2015

Auswertung der Antworten der Bundesregierung auf die kleine Anfrage „Bekämpfung von Obdachlosigkeit, gesundheitlicher Ungleichheit und extremer Armut in Deutschland“

Die Bundesregierung sieht keinen Handlungsbedarf zur Verbesserung der Versorgung, zur Beseitigung von Schnittstellenproblemen bei den Rechtskreisen oder zur Unterstützung der Kommunen und Länder um eine qualitativ gleichwertige Betreuung von Menschen in besonderen sozialen Schwierigkeiten abzusichern. Die Verbesserungsvorschläge aus der freien Wohlfahrtshilfe stehen, zum Teil seit Jahren, im Raum und werden doch nicht berücksichtigt. Es wird interessant zu sehen, wie der nächste Armuts- und Reichtumsbericht, diesmal aus einem sozialdemokratischen Ministerium, ausgestaltet wird. Doch liegen noch zwei Jahre mit Großer Koalition vor uns – und die Bundesregierung hat offensichtlich nicht einmal das Ziel, geschweige denn ein Konzept, gegen die Wohnungslosigkeit und extreme Armut vorzugehen. Stattdessen schiebt sie die Verantwortung auf die Länder und Kommunen. Auf viele unserer Fragen hat sie keine Antworten. Gleichzeitig verneint sie einen Forschungsbedarf. Um Obdachlosigkeit zielgenau zu bekämpfen ist es aber wichtig zu wissen, wer betroffen ist und warum.

Schwerpunkt 1:
Rechtskreisübergreifende Organisation der Hilfen für Menschen in Wohnungsnot SGB II/XII

Als vor 10 Jahren die Arbeitslosenhilfe und die Sozialhilfe zusammengelegt wurden, war eines der Ziele Hilfe aus einer Hand zu schaffen. Dieses Ziel kann für Menschen in besonderen sozialen Schwierigkeiten eindeutig als gescheitert angesehen werden. Menschen die von Wohnungslosigkeit bedroht oder betroffen sind, müssen sich in der Regel an mindestens vier verschiedene Ansprechpartner, die wiederum zusammenarbeiten müssen, wenden: die Bundesagentur für Arbeit, Kommunen/das örtliche Sozialamt, überörtliche Träger der Sozialhilfe und frei-gemeinnützige Träger.

Das SGB II, das in erster Linie auf die Integration in Arbeit und Entwicklung von Erwerbsfähigkeit ausgerichtet ist, ist gänzlich ungeeignet um Hilfe für wohnungslose Menschen zu gewährleisten. Es kann den oft vielseitigen Problemlagen der Betroffenen nicht die notwendigen Maßnahmen bieten. Da setzt dann das SGB XII an. Von Wohnungslosigkeit Betroffene haben auch Ansprüche auf Leistungen nach dem SGB XII. Hier müssen zwei völlig unterschiedlich arbeitende Behörden kooperieren. Dass es da in der Praxis zu Problemen kommt , ist fast zwangsläufig der Fall. Ordnungspolitisch gibt es hier von der Bundesregierung keine Unterstützung die Arbeitsteilung zwischen den Kommunen und der Bundesagentur für Arbeit (BA) zu klären oder klarer zu strukturieren. Sie versteckt sich bei Praxisproblemen hinter Zuständigkeit bei der Ausführung – also hinter den Ländern und zuständigen Behörden. Dabei ist es durchaus möglich, Orientierung für freie und öffentliche Träger des Hilfesystems zur Schwerpunktsetzung bei ihrer Strategieentwicklung anzubieten. (Vergleiche Antwort aus kleiner An-frage zu Fragen 3-9)

Schwerpunkt 2:
Kampf gegen Armut und extreme Armut

Die Bundesregierung hat keine Ambitionen dem Kampf gegen Armut mit eigenen Initiativen zu begegnen. Der EHAP-Fonds der EU bietet weiteren finanziellen Spielraum. Das Geld da-aus soll in erster Linie zur „Vermittlung der Betroffenen an Angebote des regulären Hilfesystems“ verwendet werden. Die Möglichkeiten ESF-Mittel zu verwenden ist laut Antwort auf Frage 40 darauf ausgerichtet Langzeitarbeitslose in Arbeit zu vermitteln. Es ist auch nicht geplant die Länder und Kommunen dabei zu unterstützen, eine einheitliche Betreuung/Versorgung von vergleichbarer Qualität zu realisieren.
Die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe e.V. hatte im April 2014 an die Bundesregierung eine Forderung nach einer nationalen Strategie zur Überwindung der Wohnungsnot und Armut in Deutschland gerichtet. Da hat sich die Bundesregierung noch keine Meinung gebildet! Sie unterstützt den Verein finanziell bei der Arbeit und bindet ihn auch beim Armut- und Reichtumsbericht regelmäßig mit ein, wenn es um die Betroffenenzahlen geht – aber die erarbeiteten Forderungen und Verbesserungsvorschläge werden ignoriert.
Länder wie Norwegen und Finnland haben es, trotz ihrer starken und eigenständigen Kommunen, geschafft eine nationale Strategie gegen Armut als Unterstützung einzusetzen. Die Bundesregierung lässt ihre Möglichkeiten ungenutzt
(Vergleiche Antworten auf Frage 45, 40, 46, 34, 21)

Schwerpunkt 3 :
SGB II/Sanktionen/Jugendliche

Es überrascht, dass bei der Vielzahl an Statistiken, die die Bundesagentur für Arbeit zur Verfügung stellt, der Bundesregierung keine Daten dazu vorliegen, wie viele Fälle es von nicht bewilligten Unterkunftskosten für Jugendliche unter 25 Jahren gibt, da sie ohne Genehmigung der Jobcenter aus der elterlichen Wohnung auszogen. Sanktionen, die unter das Existenzminimum gehen und auch die Kosten der Unterkunft betreffen, gefährden die Bezahlung von Wohnraum. Das kann in der Praxis zu Wohnungslosigkeit und Obdachlosigkeit führen. Eine grundlegende Reform der Sanktionen ist notwendig. Sanktionen sind für die Leistungsberechtigten oft demütigend, unnötig und kontraproduktiv. Die geplante Reform des SGB II ist eine Gelegenheit das verschärfte Sanktionsrecht gegen unter 25-Jährige abzuschaffen und zu regeln dass diese nicht die Kosten der Unterkunft und den Unterkunftsbedarf berühren – diese Gelegenheit darf nicht verpasst werden. Aber noch immer gibt es keinen Vorschlag der Bundesregierung zur angekündigten Reform des Sozialgesetzbuch II. „Die Meinungsbildung innerhalb der Bundesregierung hierzu ist noch nicht abgeschlossen.“
(Vergleiche Antworten zu den Fragen 12-18)

Schwerpunkt 4:
Gesundheitssituation von Menschen in Obdachlosigkeit

Die wenigen bisher bekannten Fakten und Studien zur Gesundheitssituation von obdachlosen Menschen offenbaren einen höheren Anteil an psychischen Erkrankungen im Vergleich zum Rest der Bevölkerung in Deutschland. Die Zuordnung einer Krankenversicherung für wohnungslose Menschen soll je nach Hauptzuständigkeit dem entsprechenden Träger – SGB II oder SVGB XII vorgenommen werden. Dies setzt aber voraus, in dem Hilfesystem bereits aufgenommen zu sein. Für Menschen die auf der Straße leben, bei jenen wo eben gerade die erhöhte Fallzahl von psychischen Erkrankungen und Traumatisierung auch durch das Leben auf der Straße zu erwarten ist, ist der Bürokratiedschungel besonders undurchsichtig. Von ihnen zu erwarten, dass diese eigenständig erkennen können, in welche rechtliche und amtliche Zuständigkeit sie fallen und eigenständig Anträge zu stellen, zeigt die Kurzsichtigkeit der Bundesregierung. Sie interessiert sich einfach nicht dafür ob die gesetzlichen Vorgaben am Ende auch in der Praxis wirken. (Vergleiche Fragen 24 -33)

 

FAZIT

Aus Sicht der Bundesregierung ist für Menschen in besonderen sozialen Notlagen auf gesetzlicher Ebene alles geregelt. Sie sieht keinen Handlungsbedarf – obwohl Sie keine Informatio-nen über die tatsächlichen Praxisprobleme hat und diese auch nicht erkennen will. Die SGB II-Regelungen, die die Problemlage verschärfen, und auch die Probleme bei der rechtsübergreifenden Zusammenarbeit werden nicht gesehen. Entsprechend finden sie bei den Vorschlägen zur SGB II-Reform keinen Niederschlag. Dabei ist es ergänzend durchaus möglich, Orientierung für freie und öffentliche Träger des Hilfesystems zur Schwerpunktsetzung bei ihrer Strategieentwicklung anzubieten.

Gerade am Beispiel Obdachlosigkeit zeigt sich, wie wertvoll Hilfen aus einer Hand wären. Manche Großstädte haben Fachstellen eingerichtet, um das Zusammenspiel der Hilfen besser zu koordinieren. Das ist ein Anfang und es braucht eindeutige Vorgaben zur besseren rechtlichen und sachgerechten Abgrenzung der Zuständigkeiten der Rechtskreise. Dies sollte in einer nationalen Strategie gegen Obdachlosigkeit Eingang finden.

Die finanziellen Möglichkeiten aus EHAP und ESF sind nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Ob sie signifikant helfen werden, die Menschen, die durch das soziale Netz gerutscht sind, in das bestehende reguläre Hilfesystem zurückzuführen ist fraglich. Zumal es strukturelle Probleme im Hilfssystem sind, die angegangen werden müssten. Zumindest muss es durch die EU-Gelder hier Ergebnisse und Auswertungen geben, so dass die Bundesregierung endlich einmal Zahlen vorlegen kann.

Fakt ist: Die regelmäßig erhobenen Zahlen der BAGW e.V. zeigen über Jahre hinweg keine dauerhafte Verbesserung der Lage. Ohne eine übergeordnete Strategie, ohne eine nationale Strategie gegen Armut und ohne rechtliche Hilfestellung von Bundesebene ist wenig Platz für Optimismus. Es wird deutlich: Bis zur nächsten Wahl wird es keine strukturellen Veränderungen in der deutschen Armutspolitik geben.

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Meine Politik der Jahre 2010-2013