Auswertung | 04.09.2014

Bewertung der Vorschläge der Bund-Länder-AG zur Rechtsvereinfachung der passiven Leistungen im SGB II

Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn
Stand: 28.8.2014

Ende 2012 hat die Arbeits- und Sozialminister-Konferenz (ASMK) eine Bund-Länder-AG (BLAG) zur Rechtsvereinfachung der passiven Leistungen im Sozialgesetzbuch II (SGB II) eingerichtet. Mitbeteiligt an der BLAG waren der Deutsche Verein für öffentliche und private Fürsorge sowie die Bundesagentur für Arbeit sowie die kommunalen Spitzenverbände. Diese BLAG tagte das letzte Mal am 2. Juli 2014. Dabei wurde über einen Entwurf für einen Abschlussbericht mit Vorschlägen, die innerhalb der BLAG Konsens waren, beraten. Eine politische Bewertung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales steht noch aus. Aber es ist geplant, bereits in der Sommerpause Gesetzesvorschläge zu erarbeiten, die im Frühjahr 2015 in Kraft treten sollen.

Auch wir finden, dass eine Vereinfachung der Regeln der Grundsicherung sinnvoll ist. Mehr Transparenz und weniger Bürokratie wäre im Bereich des SGB II dringend notwendig, um einen möglichst barrierefreien Zugang zur Grundsicherung zu gewährleisten. Die hohe Komplexität des Leistungsrechts sowie die daraus folgende Fehleranfälligkeit verhindern oftmals die Umsetzung des Rechts auf ein menschenwürdiges Existenzminimum. Verdeckte Armut und eine Beschädigung des Vertrauens der Bürgerinnen und Bürger in den Sozialstaat sind die Folge. Der jetzt bekannt gewordene Bericht der "Bund-Länder-Arbeitsgemeinschaft zur Rechtsvereinfachung der passiven Leistungen im SGB II" wird unserem Anspruch nicht gerecht, denn er basiert vor allem auf dem Blickwinkel der Verwaltung. Die Perspektive der Menschen bleibt völlig außen vor.

Vereinfachung im Sinne der Betroffenen sieht anders aus. Die Bundesregierung muss endlich auch die Perspektive der Betroffenen in den Blick nehmen und die Rechtsstellung der Hartz IV-Beziehenden deutlich verbessern. Wir brauchen endlich eine Existenzsicherung ohne Lücken. Die hohe Komplexität des Leistungsrechts sowie die daraus folgende Fehleranfälligkeit verhindern oftmals die Umsetzung des Rechts auf ein menschenwürdiges Existenzminimum. Regeln, die den berechtigten Leistungsbezug erschweren statt vereinfachen, lehnen wir ab. Darüber hinaus ist wichtig, dass der Grundbedarf immer sichergestellt und die Rechte der Arbeitssuchenden gestärkt werden.

Viele der Vorschläge gewährleisten dies nicht und gehen auf Kosten der Leistungsberechtigten. Beispielsweise sollen die auch jetzt schon sehr restriktiven Regeln für einen Umzug in eine zwar angemessene aber teurere Wohnung noch weiter verschärft werden. Wer Hartz IV bezieht und in einer günstigen Wohnung lebt, die für sie oder ihn auf Dauer untragbare Nachteile aufweist, wie z.B. eine hohe Lärmbelastung, wird ggf. lebenslang dafür bestraft. Bemerkenswert ist auch, dass die schon jetzt oftmals geringen finanziellen Anreize sich zu engagieren und eine Erwerbsarbeit aufzunehmen, weiter eingeschränkt werden sollen. So sollen die Freibeträge bei gleichzeitiger ehrenamtlicher Tätigkeit und Erwerbstätigkeit deutlich reduziert werden. Einfacher zu berechnen wird es jedoch nicht. Die rote Stopplinie wird definitiv überschritten mit dem Vorschlag Nr. 76. Der rückwirkende Rechtsanspruch auf rechtmäßig zustehende Leistungen soll verfallen, wenn das jeweilige Jobcenter rechtswidrig gehandelt hat. Das ist eines Rechtsstaates unwürdig.

Es werden durchaus einige überfällige Regelungen im Sinne der Leistungsberechtigten und der Verwaltungsvereinfachung vorgenommen. Allerdings verharren die Vorschläge im Klein-Klein. Bei einigen Vorschlägen, die auch aus unserer Sicht positiv zu bewerten sind, ist zudem anzumerken, dass der Gesetzgeber getrieben wird durch die Gerichte, statt selbst für verfassungskonforme Regelungen zu sorgen. So steht demnächst ein Urteil des Bundesverfassungsgerichtes zu den verfassungsrechtlich als sehr problematisch eingeschätzten Sonderregeln für Sanktionen für die Unter-25-Jährigen an. Diese unter der vormaligen großen Koalition eingeführten Sonderregeln sollen jetzt gestrichen werden. Das ist sehr zu begrüßen. Völlig unverständlich ist jedoch, warum die Bundesregierung nicht gleich alle Sonderregeln für 18 bis 25 Jährigen streicht und sie so behandelt wie andere Erwachsene auch.

Letztlich ist festzustellen, dass der Ertrag der BLAG mehr als dürftig ist. Von den vielen in der BLAG diskutierten Vorschlägen sind nur noch wenige übrig. Rechtsvereinfachung geht anders. Notwendig wären Regelungen, die sicherstellen, dass allen Menschen ohne großen Bürokratieaufwand der Grundbedarf sichergestellt wird, und die dafür sorgen, dass eigene Aktivitäten belohnt werden. Stattdessen sollen die Spielräume von Menschen, die Grundsicherung beziehen, weiter eingeschränkt werden.

Sinnvolle Vereinfachungsvorschläge finden keinen Niederschlag in dem Abschlussbericht.

  • Ein Einstieg in eine Individualisierung der Leistungen durch die so genannte "vertikale Einkommensanrechnung" wie sie im SGB XII praktiziert wird und von vielen Beteiligten innerhalb der BLAG befürwortet wird, hätte weitere positive Folgewirkungen und würde das Grundsicherungssystem insgesamt vereinfachen.
  • Im Sinne einer Vereinfachung sollten auch die anderen Grundsicherungsleistungen und -regelungen mit in den Blick genommen werden, um ein konsistentes und transparentes Grundsicherungssystem zu schaffen.
  • Ein Grundsicherungsbezug in allen Bildungsphasen, also bei Ausbildung, Weiterbildung und Studium, sollte ermöglicht werden.
  • Die Qualität von Bescheiden und Beratung als auch die Arbeits- und Personalsituation bei den Grundsicherungsstellen zu verbessern.
  • Die Verrechnung mit anderen Sozialleistungen sollte vereinfacht werden. Sie sollten direkt zwischen den Leistungsträgern erfolgen und nicht zu Lasten der Leistungsbeziehenden gehen.
  • Die Einkommensanrechnung von schwankenden Einkommen, insbesondere von Selbständigen, sollte flexibler gestaltet werden können.
  • Die Bildungs- und Teilhabeleistungen, die einen übermäßigen bürokratischen Aufwand erzeugen und alles andere als zielgenau sind, teilweise in den Regelsatz einzugliedern und teilweise für den Ausbau öffentlicher Bildungsangebote zu investieren.
  • Überfällig sind transparente Regelungen bei den Kosten der Unterkunft. Streitfälle zu diesem Punkt machen einen großen Teil der rechtlichen Streitfälle aus. Notwendig sind hier gesetzliche Rahmenbedingungen und Standards für die Angemessenheit der Kosten der Unterkunft. Das Kriterium für die Angemessenheit sollten dabei ausschließlich die Kosten sein und nicht die Größe der Wohnung. Es muss sichergestellt sein, dass die Kosten für angemessenen Wohnraum auch übernommen werden.
  • Die Veränderungen bei den Sanktionen gehen in die richtige Richtung, springen aber zu kurz (siehe Antrag "Existenzminimum und Teilhabe sicherstellen - Sanktionsmoratorium jetzt", BT-Drucksache 18/1963). Wichtig ist, dass die Autonomie der Leistungsbeziehenden in den Mittelpunkt des Leistungsrechts gerückt wird und nicht, wie bisher, ein fremdbestimmter Ansatz verfolgt wird.

Hier gibt es diese Gesamtbewertung sowie eine erste Bewertung der Einzelvorschläge:
140828 Bewertung der Vorschläge der BLAG zur Rechtsvereinfachung der passiven Leistungen im SGB II (PDF, 400 KB)

Die Vorschläge gibt es z.B. hier:
http://www.diakonie.de/media/140702_Schlussbericht_ASMK.pdf

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