04.01.2016

Grundsicherung von Unionsbürger*innen in Deutschland

Mehrere Artikel zu Äußerungen von Andrea Nahles und Olaf Scholz

Um den Jahreswechsel ist die Debatte um Grundsicherungsleistungen für Unionsbürger*innen wieder aufgeflammt. Anlass waren Äußerungen der Bundesministerin Andrea Nahles, die eine Gesetzesveränderung dazu ankündigte, und des ehemaligen Bundessozialministers und Ersten Bürgermeisters von Hamburg Olaf Scholz, der gefordert hat, für Unionsbürger*innen die Möglichkeit Grundsicherung zu beziehen einzuschränken. Beide sind Mitglied der SPD. Die Äußerungen wurden von der CSU begrüßt und von uns kritisiert.

Ein Teil der nichtdeutschen Unionsbürger*innen Arbeitslosen ist vom Bezug der Grundsicherung für Arbeitsuchende, also das Arbeitslosengeld II ("Hartz IV"), ausgeschlossen. Der EUGH hat vor kurzem entschieden, dass der bestehende Ausschluss europarechtlich nicht zu beanstanden und sogar für Unionsbürger*innen möglich ist, die nach dem europäischen Freizügigkeitsrecht sich rechtmäßig in Deutschland aufhalten. Das Bundessozialgericht hat darauf entschieden, dass bei einem Ausschluss von Arbeitslosengeld II aber ein Anspruch auf Sozialhilfe entstehen könnte und beruft sich auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts, dass es ein Grundrecht und Menschenrecht auf Existenzsicherung gibt, das auch für Ausländer*innen gilt, die hier leben. Bundesministerin Nahles hatte daraufhin angekündigt, dass sie die Bezugsmöglichkeit von Sozialhilfe für Unionsbürger*innen einschränken will. Olaf Scholz legte kurz danach noch einen drauf und verlangte, dass Unionsbürger*innen erst dann einen Anspruch auf Grundsicherungsleistungen erhalten sollen, nachdem sie ein Jahr in Deutschland gearbeitet haben, was schon deswegen gegen Europarecht verstößt, weil Erwerbstätige von Beginn an Anspruch auf Grundsicherung haben.

Die Grüne Position ist, dass Unionsbürger*innen, die aktiv nach Arbeit suchen und die Chance auf einen Arbeitsplatz haben, Arbeitslosengeld II erhalten sollten, wenn sie länger als drei Monate in Deutschland leben. 

Die SPD muss aufpassen, dass sie sich sozialpolitisch und europapolitisch nicht weiter verrennt. Die Vorstöße von Scholz und Nahles schüren Misstrauen – und gleichzeitig sind Sonderbehandlung und Leistungsausschluss für Unionsbürger*innen sicher nicht verfassungsgemäß und die Vorschläge von Scholz gehen weit darüber hinaus, was europarechtlich zulässig ist. 

Dazu erschien am 30.12.2015 in der Frankfurter Rundschau ein Beitrag von Karl Doemens:

"Nahles, die Europäer und das liebe Geld" 

Während die Union Zustimmung signalisiert, halten die Grünen dagegen: „Die Menschen brauchen eine finanzielle Unterstützung, um in den Arbeitsmarkt und in die Gesellschaft integriert werden zu können“, sagte ihr Sozialexperte Wolfgang Strengmann-Kuhn. Er hält „einen Leistungsausschluss für EU-Ausländer“ für nicht verfassungsgemäß.
(...)
Die angedeutete Lösung werde das Verfassungsgericht nicht akzeptieren, glaubt aber Strengmann-Kuhn. Nicht nur würden EU-Ausländer dann anders behandelt als Deutsche: „Es wäre auch merkwürdig, wenn Unionsbürgern die Leistungen gestrichen werden könnten, Asylbewerbern aber nicht.“ Und in Sachen Belastung der Kommunen findet der Grünen-Experte, „sollte Frau Nahles dafür sorgen, dass die Betroffenen Arbeitslosengeld II bekommen, das überwiegend vom Bund finanziert wird“. Voraussetzung sollte nur sein, dass die Betroffenen einen Job aufnehmen wollen. „Wer aktiv nach Arbeit sucht und eine Chance auf Arbeit hat, der sollte Arbeitslosengeld II bekommen.“ Per geändertem Sozialgesetzbuch.

Den gesamten Beitrag vom 30.12.2015 gibt es auf: www.fr-online.de/politik/eu-nahles--die-europaeer-und-das-liebe-geld,1472596,33035600.html

Außerdem erschien dazu am 30.12.2015, im Kölner Stadtanzeiger ein Artikel, in dem ich ähnlich zitiert werde:

Grüne fordern Hartz IV für EU-Ausländer

Der vollständige Artikel ist hier zu finden: www.ksta.de/politik/andrea-nahles-scharf-in-der-kritik-gruene-fordern-hartz-iv-fuer-eu-auslaender,15187246,33034792.html

Am 02.01.2016, Der Tagesspiegel berichtete in einem Beitrag von Rainer Woratschka:

Weniger Sozialleistungen für EU-Bürger 

Der Grünen-Sozialexperte Wolfgang Strengmann-Kuhn (Grüne) warf den SPD-Politikern vor, Misstrauen zu schüren. Zudem gingen Sonderbehandlung und Leistungsausschluss für EU-Bürger „weit darüber hinaus, was europarechtlich zulässig ist", sagte er dieser Zeitung. "Wir brauchen mehr und nicht weniger soziales Europa.“ EU-Bürger, die in einem anderen Land aktiv nach Arbeit suchten, benötigten dafür auch finanzielle Unterstützung.

Den gesamten Artikel vom 02.01.2016 gibt es unter: www.tagesspiegel.de/politik/spd-verlangt-einschraenkung-weniger-sozialleistungen-fuer-eu-buerger/12782208.html 

In der Berliner Morgenpost erschien von Alexander Kohnen am 02.01.2016 der Beitrag

Streit um Sozialhilfe für EU-Ausländer

"Wir brauchen mehr und nicht weniger soziales Europa", sagte Wolfgang Strengmann-Kuhn, Sprecher für Sozialpolitik der grünen Bundestagsfraktion. EU-Bürger, die in einem anderen Land Arbeit suchten, bräuchten dazu auch finanzielle Unterstützung. "Frau Nahles sollte dafür sorgen, dass die Betroffenen Arbeitslosengeld II bekommen – vorausgesetzt, dass die Betroffenen aktiv Arbeit suchen."

Den gesamten Artikel vom 02.01.2016 gibt es unter: www.morgenpost.de/politik/inland/article206878859/Streit-um-Sozialhilfe-fuer-EU-Auslaender.html

Schließlich berichtete noch die Ostthüringische Zeitung (OTZ) am 5.1.:

Kritik von Linken und Grünen: Olaf Scholz will Sozialhilfe für EU-Ausländer einschränken

http://www.otz.de/web/zgt/politik/detail/-/specific/Kritik-von-Linken-und-Gruenen-Olaf-Scholz-will-Sozialhilfe-fuer-EU-Auslaender-e-198231632