25.11.2020

Zunehmende Ungleichheit in der Pandemie stoppen

Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frauen, Kinder, Soloselbstständige, Künstlerinnen und Künstler, freiberuflich Tätige, Studierende, Menschen mit Minijobs, Kurzarbeitende mit Niedriglohn, Familien, Obdachlose, Empfängerinnen und Empfänger von Grundsicherung im Alter, Hartz-IV-Beziehende: All das sind Gruppen, die in und von dieser Krise besonders betroffen sind und bei denen die Bundesregierung viel zu wenig getan hat, um ihre Situation signifikant zu verbessern. Das wäre aber unbedingt notwendig gewesen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Die Bundesregierung hat schlicht die falschen Prioritäten gesetzt. Warum gab es regelmäßig Autogipfel, aber keine regelmäßigen Bildungsgipfel?

(Beifall der Abg. Katharina Dröge (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Warum waren die drei großen B - Biergärten, Baumärkte und Bundesliga - lange Zeit wichtiger als Kitas und Kinder?

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Susanne Ferschl (DIE LINKE))

Warum gab es keinen Pandemierat, in dem nicht nur Virologinnen und Virologen sind, sondern auch Expertinnen und Experten für Armut, Bildung und Geschlechtergerechtigkeit? Warum gibt es immer noch keinen Aufschlag auf die Grundsicherung? Warum gibt es kein Coronageld, keine bessere Absicherung für Studierende, kein höheres Kurzarbeitergeld für Menschen mit Niedriglöhnen? Und warum gibt es immer noch kein Existenzgeld für Künstlerinnen und Künstler?

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Dr. Matthias Zimmer (CDU/CSU): Weil das verdient werden muss!)

Warum gibt es immer noch keine einfache unbürokratische Leistung für alle Soloselbstständigen, die ihren Lebensunterhalt sichert?

(Manfred Grund (CDU/CSU): Sagen Sie es uns!)

Für all das wäre genug Geld da. Richtigerweise hat die Bundesregierung viel Geld zur Verfügung gestellt. Aber bei den genannten Gruppen ist kaum was angekommen. Es ist richtig, die Unternehmen zu unterstützen. Aber Sie haben die Menschen vergessen, vor allem die Menschen, die es am nötigsten haben.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Antje Lezius (CDU/CSU): Das stimmt doch überhaupt nicht! - Matthias W. Birkwald (DIE LINKE): Wo er recht hat, hat er recht!)

Wir finden es notwendig, bei aller Politik den Menschen in den Mittelpunkt zu stellen.

(Uwe Schummer (CDU/CSU): Wir auch!)

Bei all den wichtigen Notmaßnahmen ist es aber auch wichtig, in die Zukunft zu schauen. Corona hat wie unter dem berühmten Brennglas gezeigt, wo Schwächen und Lücken in unserem Sozialstaat liegen. Diese müssen geschlossen werden.

(Zuruf von der FDP: Vor allem im Gesundheitssystem!)

Wir sehen die Schwächen der Grundsicherung und brauchen eine Garantiesicherung, mit der wir Hartz IV überwinden. Wir brauchen eine Kindergrundsicherung, um Kinder und ihre Familien besser abzusichern.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Kai Whittaker (CDU/CSU): Das ist aber nicht die Parteitagsrede vom letzten Wochenende?)

- Ich habe beim Parteitag gar nicht geredet.

(Zuruf: Da hat die Präsidentin selbst geredet!)

Vizepräsidentin Claudia Roth:

Das war ich.

(Heiterkeit - Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Gucken Sie sich unsere Parteitagsreden noch mal an! Sehr sehenswert; daraus können Sie noch was lernen.

Die Krise hat uns aber auch gelehrt, dass Selbstständige eine bessere Absicherung brauchen: eine bessere Mindestabsicherung durch die Garantiesicherung, aber auch einen besseren und leichteren Zugang zur Arbeitslosenversicherung - ich glaube, da haben wir alle dazugelernt, auch die Selbstständigen -, damit in künftigen Krisen auch Selbstständige Kurzarbeitergeld bekommen können. Auch das wäre ein wichtiger Punkt für die Zukunft.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir brauchen insgesamt stärkere Sozialversicherungen. Wir haben Glück gehabt, dass die Rücklage der Arbeitslosenversicherung so gut gefüllt war. Es ist noch nicht so lange her, da war der Ruf nach Beitragssenkungen - ich gucke dabei in die Reihen der FDP - sehr laut, und es ist gut, dass wir den Vorschlägen der FDP und anderer dabei nicht gefolgt sind und die Arbeitslosenversicherung das Geld hatte.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir brauchen stärkere Sozialversicherungen und müssen deswegen die Arbeitslosenversicherung zu einer Arbeitsversicherung und die Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung zu Bürgerversicherungen weiterentwickeln. Wir brauchen mehr soziale Sicherheit, nicht nur für die Krisen jetzt, sondern um die Veränderungen, die vor uns stehen, zu meistern und dabei alle mitzunehmen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Soziale Sicherheit ist wichtig; das ist das eine. Ebenso wichtig sind gute Löhne und gute Arbeit. Wir brauchen mehr Tarifbindung. Offenbar sind wir uns in diesem Ziel weitgehend einig; aber es muss auch gemacht werden. Das heißt, wir brauchen einfache Allgemeinverbindlichkeitserklä<wbr />rungen als einen Weg,

(Beifall des Abg. Matthias W. Birkwald (DIE LINKE))

und wir brauchen endlich ein Bundestariftreuegesetz, damit Vergaben auch an Tarifbindung gebunden sind.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das wäre ein wirklich starker Hebel. Und wir brauchen eine deutliche Anhebung des Mindestlohns, damit er besser vor Armut schützt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Auch wir sagen: Die Mindestlohnkommission soll das machen. Aber wir machen hier die Rahmenbedingungen für die Mindestlohnkommission; da muss das Thema Armut stärker in den Fokus, damit der Mindestlohn tatsächlich auch besser vor Armut schützt.

(Dr. Matthias Zimmer (CDU/CSU): „Autonomie manipulieren“ nennt sich das!)

Für gute Arbeit braucht es aber noch mehr. Wir brauchen zum Beispiel mehr Mitbestimmung, und wir brauchen eine Zeitpolitik, die dafür sorgt, dass Arbeit besser ins Leben passt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Coronakrise hat gezeigt, wie wichtig sozialer Zusammenhalt und Solidarität sind. Sie zeigt aber auch auf, was alles noch zu tun ist.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)