07.06.2019

Die Arbeitsagentur muss für Zukunftsaufgaben handlungsfähig bleiben

 

105. Sitzung des Deutschen Bundestages, 07.06.2019, Top ZP 20: Beitragsentlastung in der Arbeitslosenversicherung

Erste Beratung des von der Fraktion der FDP eingebrachten Gesetzentwurfs.

Redeprotokoll: 

Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): 

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Gesetzentwurf der FDP ist kurzsichtig, ökonomisch problematisch und nicht zielgenau. Er ist kurzsichtig, weil er die Zukunftsherausforderungen überhaupt nicht in den Blick nimmt. Durch Digitalisierung, die ökologische Erneuerung der Wirtschaft und auch durch die demographische Entwicklung werden zahlreiche neue Arbeitsplätze entstehen, gleichzeitig werden zahlreiche alte Arbeitsplätze verschwinden. Das heißt, wir haben einen enorm großen Wandel vor uns. Bei diesem zukünftigen Wandel des Arbeitsmarktes wird die Bundesagentur für Arbeit eine zentrale Rolle spielen müssen. 

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) 

Deswegen wollen wir Grüne die Arbeitslosenversicherung zu einer Arbeitsversicherung weiterentwickeln, die sich nicht nur um Arbeitslose kümmert, sondern auch um Erwerbstätige, um diesen Wandel zu begleiten. 

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 

Das wird auch Geld kosten, allein wegen des nötigen Umbaus der Bundesagentur für Arbeit. Deshalb ist es nicht sinnvoll, jetzt die Beiträge noch einmal stärker zu senken, wenn schon klar ist, dass in Zukunft die Arbeitslosenversicherung bzw. dann die Arbeitsversicherung mehr Einnahmen brauchen wird. Erst die Beiträge senken und sie dann später umso stärker zu erhöhen, ist ökonomisch schädlich. 

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) 

Noch schlimmer aus ökonomischer Sicht ist der Vorschlag der FDP, dass die Rücklage der Arbeitslosenversicherung systematisch abgebaut werden soll. 

(Michael Theurer (FDP): Nein, das stimmt nicht!) 

Denken wir das einmal zu Ende. Wenn es, wie es in Ihrem Gesetzentwurf steht - der Kollege Rosemann hat schon darauf hingewiesen -, eine Obergrenze geben soll, über die die Rücklage nicht steigen darf, dann kann das im Zeitverlauf sukzessive dazu führen, dass sie absinkt und dass sie, wenn die Krise dann da ist, eben nicht ausreicht. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist ökonomisch grob fahrlässig. 

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD - Michael Theurer (FDP): Das sagen wir doch!) 

Die Rücklage muss erhalten bleiben. Das IAB sagt, dass die Rücklage ungefähr 0,65 Prozent des BIP betragen muss. Aber das ist nur eine ganz grobe Peilung, das kann auch weniger sein oder - je nach Stärke der Krise - auch mehr. Wenn man in den letzten IAB-Bericht sieht, dann kann man lesen, dass in der letzten Krise eine höhere Rücklage notwendig gewesen wäre. Das heißt, eine Absenkung macht auf gar keinen Fall Sinn. Die Rücklage muss also erhalten bleiben und nach grüner Vorstellung europäisiert werden in Form einer Rückversicherung der Arbeitslosenversicherung, um Krisen in der EU demnächst insgesamt besser gemeinsam abfedern zu können und die Ökonomie in der EU zu stabilisieren. Das wäre der richtige Weg. 

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Martin Hebner (AfD): Und wir zahlen dafür! Die deutschen Arbeitnehmer!) 

- Nein, wir zahlen nicht dafür. Die Rücklage, die wir haben, wäre dann Teil dieser europäischen Arbeitslosenversicherung. Die anderen Länder müssten noch entsprechend nachliefern. Wir hätten insgesamt Vorteile davon, liebe Kolleginnen und Kollegen von der AfD. 

(Martin Hebner (AfD): Hören Sie auf, die Realität zu verweigern!) 

Wenn man diese Punkte insgesamt betrachtet, dann stellt man fest, dass die FDP mit ihrem Gesetzentwurf eine Wirtschaftspolitik des vergangenen Jahrhunderts vertritt. Wir brauchen aber eine Wirtschaftspolitik für das 21. Jahrhundert, zukunftsorientiert und europäisch. 

Schließlich wird der FDP-Gesetzentwurf auch noch damit begründet, dass Menschen mit kleinen und mittleren Einkommen angeblich entlastet werden. Schauen wir uns das genauer an. Bei 2 000 Euro brutto bedeuten 0,3 Prozent weniger eine Entlastung - in dicken Anführungszeichen - von sage und schreibe 6 Euro, die dann auch noch auf Arbeitgeberin und Arbeitnehmer aufgeteilt werden. Das heißt, es bleiben 3 Euro für Arbeitgeber und Arbeitnehmerin. Das nennen Sie dann Entlastung. Sensationell! Die Entlastung aufgrund des Vorschlags der FDP ist also kaum spürbar. 

(Michael Theurer (FDP): Wie viel ist es denn insgesamt? Das sind 3,6 Milliarden, Herr Kollege!) 

Wir brauchen stattdessen eine deutliche und zielgenaue Entlastung, gerade bei den Menschen mit kleinen und mittleren Einkommen, wie das zum Beispiel Robert Habeck mit der Garantiesicherung vorgeschlagen hat. Dadurch würden untere und mittlere Einkommen spürbar entlastet. 

(Katja Suding (FDP): Wer zahlt das Ganze?) 

Fazit: Eine Weiterentwicklung der Arbeitslosenversicherung zu einer Arbeitsversicherung, eine Beibehaltung und Europäisierung des Puffers gegen ökonomische Krisen und eine zielgenaue und spürbare Entlastung unterer Einkommen - das ist die Alternative zu dem Gesetzentwurf der FDP. 

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)