Rede anlässlich des Antrags DER LINKEN "Eine erfolgreiche Integrationspolitik erfordert eine soziale Offensive für alle" Drucksache 18/9190 vom 16.02.2017, 218. Sitzung des Deutschen Bundestages
Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir haben eine Rede gehört, in der alles schwarzgemalt worden ist, und eine Rede, in der alles schöngeredet und rosarot gemalt worden ist.
(Antje Lezius (CDU/CSU): Na, na, na! - Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (SPD): Jetzt malst du es grün!)
Es ist wichtig, klar zu sagen, was gut ist und was schlecht, wo die Chancen liegen und wo die Risiken, und auch die Probleme deutlich zu benennen.
(Kerstin Tack (SPD): Jetzt kommt die Mitte!)
Ich fange mit dem Positiven, mit den Chancen an. In der Tat, Deutschland geht es gut. Wir sind in einer guten ökonomischen Phase. Wir sind auch in einer guten demografischen Phase. Uns geht es im Durchschnitt gut.
(Beifall der Abg. Kerstin Griese (SPD))
Sie haben es gesagt: Die Mehrheit ist durchaus zufrieden.
(Kerstin Griese (SPD): Da kann man doch mal klatschen! - Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Es kann nicht oft genug betont werden: Es gibt nach wie vor Millionen Menschen in Deutschland, die geflüchteten Menschen helfen und sie dabei unterstützen, bei uns anzukommen und Teil unserer Gesellschaft zu werden, die für das neue Wir arbeiten. Das sind viel mehr Menschen als die, die in Dresden und anderswo für Fremdenfeindlichkeit demonstrieren. Pegida und Co. sind nicht die Mehrheit.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
Zuwanderung ist für Deutschland eine Chance, und zwar sowohl gesellschaftlich als auch ökonomisch. Eine bunte, vielfältige Gesellschaft ist in jeder Hinsicht gut. Wir brauchen Vielfalt statt Einfalt.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Wir müssen diese Chance aber auch nutzen. Wenn es uns nicht gelingt, die Menschen, die zu uns kommen, in den Arbeitsmarkt und in die Gesellschaft zu integrieren, werden wir ernste Probleme bekommen. Wir dürfen deshalb die Fehler, die wir bei den sogenannten Gastarbeitern gemacht haben, nicht wiederholen.
Es ist zum Beispiel ein Fehler der Bundesregierung, dass wir eine Dreiklassenintegration haben und dabei danach unterscheiden, aus welchem Land jemand kommt.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Es ist doch völlig daneben, dass jemand aus einem Land mit einer Anerkennungsquote von 49 Prozent weniger Unterstützung erhält als jemand aus einem Land mit einer Anerkennungsquote von 51 Prozent. Wir müssen doch den einzelnen Menschen in den Blick nehmen.
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Daniela Kolbe (SPD))
Integrations- und Sprachkurse lohnen sich auch für Menschen - da gucke ich vor allen Dingen in Richtung Union -, die vielleicht wieder in ihre Heimat zurückkehren. Wir brauchen Integration von Anfang an, und zwar für alle.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Daniela Kolbe (SPD))
Wir dürfen aber auch die Probleme nicht verschweigen. Die Armutszahlen sind in Deutschland seit zehn Jahren auf Rekordniveau. Es gibt schon jetzt mindestens 12 Millionen Menschen, die Leistungen der Grundsicherung beziehen oder einen Anspruch darauf haben. Jetzt kommen noch einige Hunderttausend Menschen hinzu, die ebenfalls Unterstützung brauchen. Das schafft große Herausforderungen. Möglicherweise steigen dadurch Armut und Ungleichheit noch an. Auch die Zahl der Arbeitslosen könnte durch die Menschen, die zu uns kommen, steigen, weil nicht nur gut qualifizierte Facharbeiterinnen und Facharbeiter kommen. Es stellt unser Bildungssystem vor Herausforderungen, und wir brauchen mehr Wohnraum. Um diesen Herausforderungen gerecht zu werden, müssen wir investieren. Aber das sind Investitionen, die sich mittel- und langfristig lohnen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Wenn wir sie nicht durchführen, kann uns das teuer zu stehen kommen: ökonomisch und sozial.
Die Bundesregierung hat aber immer noch kein Konzept. Stattdessen diskutiert sie über Abschottung und darüber, wie ein paar Tausend Menschen schneller und einfacher abgeschoben werden können. Dadurch wird kein einziges Problem gelöst. Ich fände es gut, wenn Sie Ihre Energie endlich dafür verwenden würden, sich darum zu kümmern, wie wir es schaffen, dass diejenigen, die hier sind und hier bleiben, Teil unserer Gesellschaft werden.
Wir haben Ihnen dazu schon vor ziemlich genau einem Jahr einen Antrag vorgelegt, in dem wir deutlich gemacht haben, was ansteht. Wir Grünen haben dabei einen klaren Kompass. Unser Kompass ist der einer inklusiven Gesellschaft, einer Gesellschaft, in der niemand ausgegrenzt wird,
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
die bunt und vielfältig ist und in der alle das Gefühl haben: Ich gehöre dazu. - Statt Ausspielen der Geflüchteten gegen Einheimische braucht es einen inklusiven Ansatz. Es braucht inklusive Strukturen und Institutionen, bei denen die einzelnen Menschen mit ihren jeweiligen Stärken und Schwächen in den Mittelpunkt gestellt werden, und zwar egal ob jemand aus Dresden oder aus Damaskus kommt. Es geht nicht um die Frage „Wo kommst du her?“, sondern um die Frage „Wo willst du hin?“.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Wir brauchen inklusive Bildung, damit nicht mehr die Herkunft entscheidet. Wir brauchen einen inklusiven Arbeitsmarkt. Wir brauchen Wohnraum für alle. Wir brauchen Gesundheit für alle statt einer Dreiklassenversorgung. Die Notversorgung für Geflüchtete reicht nicht. Das Asylbewerberleistungsgesetz gehört abgeschafft.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Wir sind für gleichen Zugang zu Gesundheitsleistungen, aber auch für eine gleiche Grundsicherung; denn die Würde des Menschen ist unantastbar.
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Vizepräsidentin Claudia Roth:
Und die Redezeit ist begrenzt.
Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Unser Ziel ist selbstbestimmte Teilhabe für alle: für die, die hier geboren sind und schon länger hier leben, und die, die neu dazukommen.
Ja, gesellschaftliche Teilhabe für alle und die Schaffung von inklusiven Strukturen kosten auch Geld. Es geht auch um einen Kampf um Ressourcen. Dabei stehen die, die schon länger hier leben und ausgegrenzt werden oder sich ausgegrenzt fühlen, -
Vizepräsidentin Claudia Roth:
Herr Kollege!
Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
- und die, die jetzt neu dazukommen, eigentlich auf der gleichen Seite.
Deutschland ist ein reiches Land. Wir können das schaffen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)