11.06.2015

Exportüberschüsse abbauen

Rede im Bundestag zur Forderung: Exportüberschüsse abbauen - Wende in der Lohnpolitik einleiten

"Es ist ökono­misch nicht gesund, wenn man mehr produziert, als man selber konsumieren kann."

Debatte im Deutschen Bundestag zum Tagesordnungspunkt 7, Beratung des Antrags der Abgeordneten Michael Schlecht, Klaus Ernst, Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Exportüberschüsse abbauen – Wende in der Lohnpolitik einleiten  Drucksache 18/4837  

Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn:

Vielen Dank. – Als nächster Redner hat Dr. Strengmann-Kuhn von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort.

Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist wirklich erschreckend, wie stark die wirtschaftli­che Kompetenz der Union in den vergangenen Jahren gesunken ist.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Zurufe von der CDU/CSU: Oh!)

Ich habe selten so viel ökonomischen Unsinn in einer Rede gehört wie gerade eben. Deswegen will ich versu­chen, das Problem der außenwirtschaftlichen Ungleich­gewichte zu beschreiben.

(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ­NEN]: Entwicklungshilfe ist das jetzt! – Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Die verste­hen das nicht!)

In der Tat steht es ja nicht grundlos im Stabilitäts- und Wachstumsgesetz der damaligen Großen Koalition.

Man muss sich vorstellen, was passiert, wenn man permanent mehr produziert als konsumiert – das heißt außenwirtschaftliches Ungleichgewicht –, für eine Firma, für eine Person oder für einen Landwirt. Es ist ökono­misch nicht gesund, wenn man mehr produziert, als man selber konsumieren kann. Man scheffelt immer nur mehr Vermögen, aber das macht nur dann Sinn, wenn man das Vermögen irgendwann wieder aufbraucht und in Kon­sum umsetzt. Dauerhafter Überschuss ist ökonomisch nicht sinnvoll, und er ist nicht gut für eine Volkswirt­schaft. Das sollten Sie einsehen.

Der zweite Punkt ist, dass man auch die andere Seite betrachten muss. Wenn wir einen Überschuss haben, dann geht es rechnerisch gar nicht anders, als dass es auf der anderen Seite ein genauso hohes Defizit gibt. Des­wegen müssten in der Europäischen Union die Grenzen für Überschuss und Defizit eigentlich gleich hoch sein, weil es rein rechnerisch auch das Gleiche ist. Aber mit dem Rechnen haben Sie offensichtlich Schwierigkeiten.

Weil Vermögen auf der einen Seite immer das Defizit auf der anderen Seite ist, bedeutet das: Wenn wir hier Vermögen aufbauen und dafür bei den anderen ein Defi­zit entsteht, also mehr konsumiert als produziert würde, dann ist das ein Problem, das Sie auch mit Blick auf Griechenland kritisieren. Die Menschen in Griechenland haben über ihre Verhältnisse gelebt, während wir unter unseren Verhältnissen gelebt haben. Die Folge eines De­fizits ist Verschuldung. Unsere Güter werden dadurch bezahlt, dass anderswo Schulden aufgehäuft werden. In­sofern hat Herr Schlecht recht, wenn er sagt, dass dies eine der Ursachen der Krise ist, in der wir uns im Mo­ment befinden.

Auf diese Problematik haben wir schon des Öfteren in Anträgen hingewiesen. Ich muss allerdings sagen, dass ein reiner Fokus auf die Löhne zu einfach ist.

(Andreas G. Lämmel [CDU/CSU]: Der erste Weg zur Erkenntnis!)

Die Betrachtung muss hier breiter ausfallen. Es ist si­cherlich richtig: Die Ausweitung des Niedriglohnsektors ist ein Problem. Das war zwar ein Ziel der Agenda 2010. Aber man muss deutlich sagen: Das war ein Fehler.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Das ist, wie gesagt, nur eine von mehreren Ursachen.

Im Zusammenhang mit der Agenda 2010 sage ich: Die Flexibilisierung war durchaus richtig. Viele wichtige Leute in der Fraktion, etwa der damalige sozialpolitische Sprecher, der vorne sitzt, haben schon damals einen Mindestlohn gefordert. Der damalige Umweltminister hatte parallel zur Einführung der Agenda 2010 einen Mindestlohn gefordert. Auch unser Parteivorsitzender in der Zeit der rot-grünen Regierung, Reinhard Bütikofer, hat damals einen Mindestlohn gefordert. Das wäre eine notwendige flankierende Maßnahme zur Agenda 2010 gewesen.

Auch bei der Deregulierung sind wir ein Stück zu weit gegangen. Wir haben in den letzten Jahren viele Vorschläge vorgelegt, wie man diese Deregulierung nicht komplett zurückdreht, sondern sie verbessert. Des­wegen haben wir sowohl die Einführung des Mindest­lohns als auch das Tarifautonomiestärkungsgesetz unter­stützt. Das waren beides Forderungen, die wir seit Jahren erheben. 

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir sind dabei noch lange nicht am Ende. Wir sind für die Abschaffung der sachgrundlosen Befristung. Wir sind für Maßnahmen gegen den Missbrauch von Werk­verträgen. Aber am Beispiel Leiharbeit kann man den Unterschied zwischen uns Grünen und Ihnen von der Linksfraktion deutlich machen.

Wir halten die Leiharbeit für ein wichtiges Instru­ment, um den Unternehmen mehr Flexibilität zu ermög­lichen. Sie wollen die Leiharbeit abschaffen. Wir wollen Flexibilität ermöglichen. Gleichzeitig aber müssen Leih­arbeiter fair bezahlt werden. Das heißt Equal Pay ab dem ersten Tag, nicht erst, wie es die Große Koalition vorhat, nach neun Monaten. Equal Pay muss ab dem ersten Tag gelten, verbunden mit dem Flexibilitätsbonus. Dann wäre es ein vernünftiges und flexibles Instrument mit entsprechender sozialer Sicherheit.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es fehlen in Ihrem Antrag ganz viele wichtige Punkte.

Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn:

Herr Strengmann-Kuhn, lassen Sie eine Zwischen­frage zu?

Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Ja, gerne.

Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn:

Bitte.

Alexander Ulrich (DIE LINKE):

Herr Kollege Strengmann-Kuhn, Sie haben eben am Beispiel Leiharbeit den Unterschied zwischen Bünd­nis 90/Die Grünen und der Linken dargestellt. Ich frage Sie: Worin bestünde denn der Unterschied zwischen uns, wenn all das, was Sie als Vorteil bezeichnen, durch sach­lich begründete Befristungen möglich wäre? Läge dann nicht der Unterschied darin, dass diejenigen, die unter ei­nen Tarifvertrag fielen, eine vernünftige, gleiche Bezah­lung erhielten?

(Beifall bei der LINKEN – Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wieso? Glei­che Bezahlung bei Equal Pay haben wir auch!)

Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Ich möchte jetzt ein Stück weit grundsätzlich werden. Erinnern wir uns an den Arbeitsmarkt in Deutschland vor 15 oder 20 Jahren. Dieser Arbeitsmarkt war einer der am stärksten regulierten Märkte in Europa mit den ent­sprechenden Problemen. Deswegen war, wie gesagt, die Flexibilisierung an dieser Stelle richtig. Es war auch ver­nünftig, verschiedene Möglichkeiten der Flexibilisie­rung einzuführen. Das gilt auch für Befristungen, die un­seres Erachtens begründet werden müssen. Deswegen fordern wir die Abschaffung der sachgrundlosen Befris­tung.

Auch die Leiharbeit kann sowohl für die Arbeitneh­merinnen und Arbeitnehmer als auch für die Unterneh­men eine gute Wahl sein. Das hängt von der ökonomi­schen Situation und auch von der Person ab. Es gibt durchaus Leiharbeitnehmerinnen und -arbeitnehmer, ins­besondere besser verdienende – das gebe ich zu –, die es sehr sinnvoll und auch spannend finden, in verschiede­nen Betrieben zu arbeiten. Wie gesagt, diese Tätigkeit muss dann auch entsprechend bezahlt werden. Weil das eher eine höhere Qualifikation erfordert, sagen wir, dass es an dieser Stelle einen Flexibilitätsbonus geben müsste.

Nun zu den Punkten, die in Ihrem Antrag fehlen. Da meine Redezeit langsam abläuft, kann ich nur noch Stichworte nennen.

Wenn wir die Exportüberschüsse abbauen wollen, dann heißt das nicht, dass wir die Exporte reduzieren wollen, sondern wir wollen die Importe steigern. Das heißt, wir brauchen Umverteilung und in der Tat mehr Nachfrage. Das betrifft aber nicht nur die Löhne, son­dern wir müssen insbesondere geringe Einkommen stär­ken durch bessere Armutsbekämpfung. Wir müssen die Grundsicherung verbessern, wir müssen den Regelsatz erhöhen, und wir müssen die Kinderarmut bekämpfen. Es ist ein Skandal, dass Kinder bei uns immer noch ein Armutsrisiko sind. Wir müssen dafür sorgen, dass so­wohl abhängig Beschäftigte als auch Selbstständige von ihrer Arbeit leben können. Das sind Punkte, die neben der Lohnarbeit bewirken, dass durch sie die Nachfrage steigen würde.

Wir müssen auf der anderen Seite auch eine Umver­teilung am oberen Ende der Skala betrachten. Wir müs­sen vor allen Dingen hohe Vermögen stärker besteuern. Was in Ihrem Antrag komplett fehlt, ist die europäische Ebene. Darüber könnte ich weitere fünf bis zehn Minu­ten reden. Wir brauchen eine europäische Koordinierung der Wirtschafts- und Lohnpolitik. Das Europäische Se­mester und die Punkte, die darin schon enthalten sind und noch verbessert werden könnten, fehlen in Ihrem Antrag komplett. Darüber könnte man noch lange reden.

Wenn man dies zusammenfasst, dann würde ich sa­gen: Die Probleme sind durchaus richtig beschrieben, die Forderungen in Ihrem Antrag sind aber völlig platt. Teilweise wird das Kind mit dem Bade ausgeschüttet.

Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn:

Herr Strengmann-Kuhn, Sie müssen zum Schluss kommen.

Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Zentrale Punkte fehlen. So wird das noch nichts mit der Regierungsfähigkeit, aber das kommt vielleicht noch.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)