09.11.2016

Existenzminimum verlässlich absichern, gesellschaftliche Teilhabe ermöglichen

Die Bundesregierung macht einen Vorschlag, durch den soziale und kulturelle Teilhabe verhindert wird. Wir brauchen aber eine Grundsicherung, die vor Armut schützt und soziale und kulturelle Teilhabe ermöglicht.

Antrag 18/10250 als PDF

Alle Menschen in Deutschland haben einen Anspruch auf ein Leben in Würde. Auch in Phasen mit einem geringem oder ohne Erwerbseinkommen muss Teilhabe an der Gesellschaft möglich sein. Das ist nur möglich mit einer verlässlichen und in der Höhe ausreichenden Grundsicherung. In seinem Regelsatzurteil vom 2010 hat das Bundesverfassungsgericht gefordert, dass nicht mehr die Bundesregierung, sondern der Bundestag per Gesetz zuständig ist.

Ein transparentes Vorgehen bei der Ermittlung der Regelsätze hat gerade in diesem existenziellen Bereich eine hohe Bedeutung. Deswegen sollte die Bundesregierung dem Bundestag ihre Erwägungen und Wertungen offen legen und zur Diskussion stellen, bevor der Regelsatz berechnet wird. Denn nur so kann vermieden werden, dass die Bundesregierung die Regelsätze im Nachhinein kleinrechnet.

Das Bundesverfassungsgericht hat dem Gesetzgeber spezifische Vorgaben für die Berechnung der Regelsätze gemacht. Demnach sind ein für die Bürgerinnen und Bürger nachvollziehbares Vorgehen, sowie eine besondere Sorgfalt bei der Ermittlung der Regelbedarfe unerlässlich. Außerdem dürfen nur zuverlässige Methoden und aussagekräftige Zahlengrundlagen verwendet werden. Die Bundesregierung hat nun einen Gesetzesentwurf vorgelegt, in dem das Existenzminimum von Alleinstehenden und Familien auf eine zweifelhafte und höchst kritikwürdige Art und Weise ermittelt wurde.

So hat es die Bundesregierung versäumt, jegliche Zirkelschlüsse in der Berechnung der Regelsätze auszuschließen. Wie schon beim Regelbedarfsermittlungsgesetz (RBEG) 2011 wurden die Regelsätze nun ebenfalls auf der Grundlage der Ausgaben von Gruppen berechnet, die unter Umständen über noch weniger Geld verfügen als Personen, die Grundsicherungsleistungen beziehen, wie zum Beispiel verdeckt Arme. Auf diese Weise werden die Leistungsbeziehenden auch von der Wohlstandsentwicklung abgehängt. So sind die durchschnittlichen Einkommen der Vergleichsgruppen, auf deren Grundlage der Regelsatz berechnet wird, seit der letzten Regelsatzberechnung real sogar gesunken (Stellungnahme des Paritätischen vom September 2016). Weiterhin nimmt die Bundesregierung erhebliche nachträgliche Streichungen von Ausgaben vor, die für die soziale Teilhabe erforderlich sind, wie zum Beispiel Gaststättenbesuche oder Kosten für ein Mobiltelefon.

Verschiedene Wohlfahrtsverbände kritisieren diese Herausstreichungen. Zum Beispiel stellt die Diakonie fest, dass dadurch und durch weitere Kürzungen der Regelsatz um mehr als 140 Euro verringert wird. Es ist stark anzuzweifeln, ob ein Herunterrechnen des Regelsatzes in diesem Ausmaß den Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts vom 23. Juli 2014 (1 BvL 10/12) entspricht, wonach der Gesetzgeber sicherzustellen hat, dass Bedarfe „im Wege internen Ausgleichs oder Ansparens auch tatsächlich gedeckt werden können“ (Rn. 147).

Dieses Kleinrechnen des Regelsatzes wirkt sich besonders stark auf Kinder und Jugendliche aus. So erachtet die Bundesregierung das Eisessengehen im Sommer für genauso überflüssig wie Malstifte für die Freizeit oder festliche Kleidung für Familienfeste. Soziale Teilhabe von Kindern wird durch diese Streichungen verhindert anstatt gestärkt. Zudem ist die Ermittlung der Kinderregelsätze methodisch problematisch und steht empirisch auf wackligen Füßen. So erfolgen einzelne Berechnungen auf der Grundlage der Angaben von nur 12 Haushalten (ebd.). Damit macht die Bundesregierung das Wohlergehen der davon betroffenen Kinder und Jugendlichen von statistischen Zufällen abhängig.

Schließlich hat es die Bundesregierung versäumt, eine Erstattung auf Antrag für größere Anschaffungen wie einer Waschmaschine einzuführen, die höheren Bedarfe für Kinder, die zwischen den Haushalten ihrer getrennten Eltern wechseln, endlich abzusichern, sowie die massive Schlechterstellung der Leistungsberechtigten nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) bei den Leistungen zu beenden.

Das Bildungs- und Teilhabepaket bleibt ebenfalls wie es ist: hoch bürokratisch und nicht bedarfsdeckend. Auch die von der Bundesregierung angestrebte Regelung für die Regelbedarfsstufen überzeugt nicht. Der Gesetzesentwurf der Bundesregierung ist verfassungsrechtlich auf Kante genäht und verhindert eher soziale Teilhabe als sie zu ermöglichen. Nach Berechnungen der Diakonie hat die Referenzgruppe selbst nur ein Einkommen an der Armutsrisikogrenze. Von deren Ausgaben wird nun noch ein Viertel durch nachträgliches Kleinrechnen abgezogen (ebd.).

Es ist klar, dass das Ergebnis nicht zur sozialen Teilhabe ausreichen kann. Es muss aber das Ziel der Grundsicherung sein, das Existenzminimum verlässlich abzusichern. (Auszug aus dem Antrag "Existenzminimum verlässlich absichern, gesellschaftliche Teilhabe ermöglichen" Bundestagsdrucksache: 18/10250)

Antrag "Existenzminimum verlässlich absichern, gesellschaftliche Teilhabe ermöglichen" 18/10250 als PDF