Ende 2012 hatte die Arbeits- und Sozialminister-Konferenz (ASMK) eine Bund-Länder-AG (BLAG) zur Rechtsvereinfachung der passiven Leistungen im Sozialgesetzbuch II (SGB II) eingerichtet. Mitte 2014 legte die BLAG einen Abschlussbericht vor. Er enthielt die Vorschläge, die innerhalb der BLAG Konsens waren. Einen Teil dieser Vorschläge hat die Bundesregierung nun aufgegriffen und noch einige eigene Vorschläge hinzugefügt und im Februar 2016 als Gesetzentwurf im Kabinett beschlossen.
Die staatlichen Leistungen zur Mindestsicherung fußen auf einer Vielzahl von Gesetzen, Verordnungen oder auch Verwaltungsvorschriften; als Beispiele seien hier nur die Sozialhilfe, die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung, die Grundsicherung für Arbeitssuchende oder das Asylbewerberleistungsgesetz genannt. Das Leistungsrecht unterscheidet sich je nach Gesetz und ist auch selbst kompliziert. Für die Bürgerinnen und Bürger ist es schwer nachzuvollziehen, ob ein Anspruch auf Leistungen besteht und welche Behörde letztlich für die Klärung verantwortlich ist. Viele Bürgerinnen und Bürger nehmen darum Leistungen nicht in Anspruch, die ihnen zustehen, sie vor Armut schützen oder ihre Teilhabe gewährleisten sollen.Diese Unübersichtlichkeit belastet aber auch die Menschen, die diese Gesetze umsetzen oder die Leistungsberechtigten beraten sollen - sei es in den Jobcentern, an den Gerichten oder in den Beratungsstellen. Ein zu hoher Anteil des Personals in den Jobcentern ist zudem mit der Bearbeitung der Anträge und der Berechnung von Leistungen, also mit reinen Verwaltungsaufgaben, beschäftigt. Darunter leidet die Beratung und Förderung der Leistungsbeziehenden. Eine Vereinfachung des Leistungsrechts und eine Entlastung der Jobcenter sind dringend geboten. Das ist jedoch kein Selbstzweck. Eine Reform sollte auf folgende Ziele ausgerichtet werden:
Über eine Rechtsvereinfachung im Bereich der Grundsicherung hinaus sollten die Jobcenter zudem durch eine Stärkung der vorgelagerten Sicherungssysteme, insbesondere für Erwerbstätige, Familien, Menschen mit Behinderungen und in Bildungsphasen sowie Rentnerinnen und Rentner, entlastet werden. Dadurch müssten deutlich weniger Bürgerinnen und Bürger ihren Mindestbedarf über die Sozialhilfe bzw. die Grundsicherung decken.
Der Gesetzentwurf umfasst eine Vielzahl unterschiedlichster Einzelmaßnahmen. Diese folgen jedoch weder einem klaren Konzept, noch haben sie eine klare Stoßrichtung. Der Gesetzentwurf verheddert sich im Kleinklein und enthält Maßnahmen, die noch mehr willkürliches Sonderrecht für die Leistungsberechtigten schaffen. Nur ein Teil der von der Bundesregierung vorgeschlagenen Maßnahmen würde tatsächlich dazu führen, dass der Verwaltungsaufwand der Jobcenter sinken würde. Dieses Ziel wurde jedoch häufig nur um den Preis erreicht, dass die Berechtigten Leistungseinschränkungen hinnehmen müssen oder ihre Bedarfe ggf. nicht zuverlässig decken können. Die von der Bundesregierung geplanten Veränderungen beim Leistungsrecht z.B. für Auszubildende, für Aufwendungen für Mietkautionen oder dem Erwerb von Genossenschaftsanteilen und für werdende Mütter werden dazu führen, dass Leistungsbeziehende geringere Leistungen erhalten werden. So sollen werdende Mütter, die vor dem Bezug von Mutterschaftsgeld nur geringfügig erwerbstätig waren, für die Existenzsicherung notwendige aufstockenden Leistungen nur noch als Darlehen erhalten. Diese Darlehen müssen dann aus dem laufenden Regelsatz wieder zurückgezahlt werden, so dass das Existenzminimum nicht gesichert ist. Gleiches gilt für die Darlehen für den Erwerb von Genossenschaftsanteilen. Viele der geplanten Änderungen sind zudem keine Rechtsvereinfachungen, sondern Verschärfungen. So soll das diskriminierende Sonderrecht für Arbeitslosengeld-II-Beziehende noch weiter ausgebaut werden, indem der rückwirkende Anspruch auf rechtmäßig zustehende Leistungen noch weiter eingeschränkt wird. Auch sollen von Leistungsbeziehenden in noch mehr Fällen Leistungen zurückgefordert werden können, wenn sie sich z.B. aus Sicht der Jobcentermitarbeiter nicht ausreichend für die Überwindung der Hilfebedürftigkeit eingesetzt haben (Ausweitung der sogenannten Ersatzansprüche). Dabei ist schon jetzt nicht nachvollziehbar, warum der Ersatzanspruch erst nach vier Jahren verjährt, während zu Unrecht von den Jobcentern nicht geleistete Leistungen nur bis zu dem zurückliegenden Jahr nachgezahlt werden. Zudem sollen nach dem Gesetzentwurf nach einem Umzug in mehr Fällen nicht die tatsächlichen Kosten der neuen Wohnung übernommen werden, sondern nur die bisher gezahlten Wohnkosten. Weiterhin ist nicht nachzuvollziehen, dass bei vorzeitigem Verbrauch einmaliger Leistungen nicht wie bisher Hilfen zum Lebensunterhalt gewährt werden, sondern nur noch Darlehen. Das erhöht den Verwaltungsaufwand und das Existenzminim wird nicht ausreichend abgesichert. Dagegen scheiterte die Aufnahme selbst kleiner Vereinfachungen bei den Sanktionen in den Gesetzentwurf an der Blockade der CSU. Dazu zählen Maßnahmen, die sowohl in der BLAG (mit Ausnahme von Bayern) sowie bei allen Fachleuten Konsens sind, wie die Abschaffung der verschärften Sanktionsregeln für junge Erwachsene und die Abschaffung von Sanktionen bei den Kosten der Unterkunft. Insgesamt hat die Bundesregierung mit der geplanten Reform eine große Chance vertan.