26.02.2015

50 Jahre Europäische Sozialcharta

Es ist notwendiger denn je, einen starken Beitrag für ein sozialeres Europa zu leisten!

Beratung des Antrags der Abgeordneten Andrej Hunko, Azize Tank, Katja Kipping, weiterer Ab­geordneter und der Fraktion DIE LINKE:

50 Jahre Europäische Sozialcharta – Deutsch­lands Verpflichtungen einhalten und die So­zialcharta weiterentwickeln  Drucksache 18/4092

Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Kollege Pätzold, Sie haben deutlich gemacht, was für eine Bedeutung die Europäische So­zialcharta hat. Mir ist aber nicht ganz klar geworden, wa­rum die revidierte Sozialcharta, obwohl Deutschland sie unterschrieben hat, immer noch nicht zur Ratifizierung vorgelegt worden ist. Die beiden Punkte, die Sie genannt haben, müssen auch damals schon diskutiert worden sein. Warum es jetzt noch eine lange Diskussion mit Ver­bänden geben soll, aber nicht mit dem Bundestag zum Beispiel, leuchtet mir überhaupt nicht ein. Ich denke, das sollte schneller gehen. Legen Sie das endlich vor, damit das hier tatsächlich ratifiziert werden kann!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)

Es ist nicht das einzige Beispiel, bei dem die Bundes­regierung bremst, wenn es um die Ratifizierung von in­ternationalen Abkommen geht. Wir haben das Beispiel des Fakultativprotokolls zum UN-Sozialpakt, bei dem es ähnliche Verzögerungen gibt. Insofern finde ich, dass Deutschland seiner internationalen Verantwortung stär­ker gerecht werden muss und nicht warten kann, bis 33 andere Länder die Sozialcharta ratifiziert haben.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)

Außerdem ist es natürlich wichtig, dass auch die Be­richte des Europäischen Ausschusses für Soziale Rechte ernst genommen werden, wenn wir die Sozialcharta unterschrieben haben. Das hat der Kollege Hunko schon erwähnt. Da gibt es in den verschiedenen Berichten diverse Kritik an der Politik der Bundesrepublik Deutschland, von den Sanktionen bei Hartz IV angefan­gen bis hin zur Diskriminierung von Frauen beim Ein­kommen. Ich glaube, dass das Punkte sind, die man ein­mal deutlicher öffentlich diskutieren sollte und zu denen die Bundesregierung und der Bundestag auch Stellung nehmen sollten.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es ist gesagt worden: 47 Mitgliedstaaten. Es ist viel­leicht wichtig, noch einmal zu betonen: Es geht hier nicht um die Europäische Union, sondern um den Euro­parat. Es ist vielleicht gerade in diesen Zeiten noch einmal zu betonen, dass Europa weitaus mehr ist als die Europäische Union. Aber auch innerhalb der Europäi­schen Union wird diese Regierung ihrer Verantwortung nicht gerecht. Das ist beim EU-2020-Prozess der Fall, wo es auf europäischer Ebene das Ziel der Armutsreduk­tion gibt. Wir finden gut, dass es ein quantifiziertes Ziel gibt. Die letzte Bundesregierung hat gesagt: Wir akzep­tieren das Kriterium nicht. Wir denken uns ein neues Kriterium aus. – Die jetzige Bundesregierung bleibt da­bei. Das ist keine Art und Weise, miteinander vernünftig in der Europäischen Union umzugehen. Wenn man ge­meinsame Ziele und gemeinsame Kriterien hatte, sollte man sich auch an diese gemeinsamen Kriterien halten.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Auch bei der EU-Krisenpolitik ist die deutsche Bun­desregierung ihrer sozialen Verantwortung nicht gerecht geworden. Die Krisenpolitik hatte eine klare soziale Schieflage. Dies ist besonders deutlich in Griechenland zu erkennen, aber nicht nur dort. Es ist nicht gelungen, die Reformen so auszugestalten, dass sie Armut be­kämpfen, dass sie sozial ausgewogen sind. In Griechen­land gibt es mit der neuen Regierung vielleicht eine Chance, dass sich das etwas ändert. Die Liste der Maß­nahmen, die vorgelegt worden ist, ist für uns ermuti­gend. Ob sie umgesetzt wird, ist natürlich die Frage. Aber als Ziel steht dort, dass eine nationale Grundsiche­rung eingeführt werden soll, dass die Reicheren mehr Steuern zahlen sollen, dass eine Verwaltung aufgebaut werden soll, um die Vermögen zu erfassen. Hier gibt es tatsächlich eine Chance. Es ist auch gut, dass es von der Euro-Gruppe und den drei Institutionen tatsächlich auch gewürdigt worden ist. Nichtsdestotrotz tut diese Bundes­regierung immer noch zu wenig für ein soziales Europa. Ich könnte noch viele Beispiele nennen: die Vertiefung der sozialen Dimension der Wirtschafts- und Währungs­union, der fehlende Einsatz für eine Mindesteinkom­mensrichtlinie.

Insgesamt appelliere ich an die Bundesregierung: Nehmen Sie Ihre Verantwortung endlich wahr, sorgen Sie dafür, dass die genannten Abkommen und Protokolle endlich ratifiziert werden, und leisten Sie einen stärkeren Beitrag für ein soziales Europa, denn das ist notwendiger denn je!

Vielen Dank.

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 88. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Februar 2015